Die Gefangene des Highlanders
für die Wächter, sondern auch für die Männer am Feuer als schwarzer Umriss sichtbar – es sei denn, die Nebelfrauen halfen ihr. Marian kniete hinter einem Steinbrocken und wartete geduldig, spürte, wie sich ein spitzer Stein durch den Stoff des Kleides hindurch in ihr Knie grub und fluchte innerlich – doch sie blieb unbewegt. Dann – endlich – quollen dichte Nebelschwaden über die Burgruine und hüllten Hof und Mauer ein. Marian huschte voran, hoffte inständig, nicht ausgerechnet mit einem der Wächter zusammenzustoßen und spürte dann die ersten Steine der Mauer unter den Füßen. Jetzt galt es aufzupassen, denn die Mauer war in aller Eile aufgehäuft worden, man hatte nicht die Zeit gehabt, die Steine fest und sicher ineinanderzufügen. Marian stützte sich mit beiden Händen auf und kletterte langsam über das lose aufeinanderliegende Gestein. Es war mühsam, weil das Kleid sie dabei behinderte, sie zog den Rock bis über die Knie hoch, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Als sie den höchsten Punkt der Mauer erreicht hatte, hörte sie entsetzt hinter sich leises Knirschen und Gepolter. Ein Stein hatte sich gelöst und rollte hinab, kleinere Kiesel folgten ihm und rollten lautstark die Mauer hinunter. Marian verharrte unbeweglich, Schritte näherten sich, einer der Wächter war aufmerksam geworden.
„Hierher, Val! Rasch!“
„Was ist?“
„Ein Stein hat sich gelöst!“
Marian lag wie erstarrt, bemüht, mit den Steinen der Mauer zu verschmelzen, wagte kaum zu atmen und wartete. Ihr eigener Herzschlag dröhnte so laut, dass sie glaubte, jemand schlage dicht neben ihr eine Trommel.
„Wird ein Marder gewesen sein. Oder ein Fuchs …“
Sie blieb still liegen, bis die Schritte der beiden Männer sich wieder entfernt hatten, dann tasteten ihre Hände vorsichtig auf die andere Seite der Mauer. Es war nicht besonders hoch und auch nicht steil – die größte Gefahr bestand darin, dass ein neuer Steinschlag entstehen konnte, doch das musste es riskieren.
Es zahlte sich aus, dass sie als Kind mit Begeisterung in den Felsen herumgeklettert war – sie erreichte den Boden, ohne weiteren Lärm zu verursachen und stieg dann über das Geröll, mit dem man den früheren Burggraben zugeschüttet hatte. Als sie endlich das nachgiebige, kratzige Heidekraut unter ihren Füßen spürte, empfand sie ein Gefühl des Triumphes. Sie hatte es fast geschafft.
Geduckt huschte sie über die Heide, tauchte in die Tänze der Nebelfrauen ein, ließ sich mit ihnen davonziehen, und als sie sich umwandte, war von dem Hügel, auf dem die Burgruine stand, nur noch ein schwacher, gelblicher Schein zu sehen, der von der Feuerstelle herrührte. Alles andere, sogar die Umrisse der Ruine, war Beute der Nebelgeister geworden.
Sie lief über die Heide in die Dunkelheit hinein, stieß immer wieder an Steine, die für sie unsichtbar über die Fläche verteilt lagen, sank hier und da in den feuchten Boden ein und bekam nasse Schuhe. Das Gefühl der Begeisterung war jetzt verschwunden, stattdessen spürte sie Bangigkeit. Es war einsam hier in der grauschwarzen, wabernden Finsternis, Feuchtigkeit legte sich über sie, und sie wickelte sich fröstelnd in ihren Mantel ein. Die Umarmung der Nebelweiber war wenig freundschaftlich, sie war kühl auf der Haut und roch nach Moder und Nacht.
Ihr Gang verlangsamte sich, denn die Zusammenstöße mit den harten Steinen hatten ihr schon etliche Schrammen eingetragen. Warum erreichte sie nicht endlich den Waldrand? Was, wenn sie im Kreis lief?
Ihr Fuß stieß an etwas Weiches, gleich darauf flatterten mehrere größere Vögel dicht vor ihr vom Boden auf, und sie spürte den sanften Luftzug, den ihre Schwingen verursachten. Mit wild klopfendem Herzen blieb sie stehen.
Stell dich nicht so an, dachte sie und atmete dabei heftig. Ein paar Moorhühner oder Regenpfeifer, was regst du dich auf?
Im gleichen Augenblick vernahm sie hinter sich die aufgeregten Stimmen der Männer in der Burgruine. Sie konnte die Worte nicht verstehen, dazu war sie schon zu weit entfernt, doch der Inhalt war nicht schwer zu erraten, zumal sie deutlich Bradens lautes, tiefes Organ heraushörte. Man hatte ihre Flucht bemerkt.
Panik erfasste sie, und obgleich sie sich sagte, dass man sie hier auf der weiten Heidefläche im dichten Nebel nicht so schnell finden würde, eilte sie doch hastig voran. Nach wenigen Schritten stieß sie schmerzhaft mit der linken Schulter gegen etwas Hartes und ertastete einen knorrigen
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