Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
wahnsinnig-, und ich setzte mich ans Fenster, bis es dunkel wurde,
und befahl Bunny, den Mund zu halten und sich zu überlegen, was wir tun sollten. Ich glaube nicht, daß der Mann genau wußte, wo wir wohnten – weshalb streifte er sonst auf der Piazza herum und kam nicht geradewegs in unser Apartment, wenn er uns etwas zu sagen hatte? Jedenfalls ... wir gaben die Zimmer mitten in der Nacht auf und zogen ins Excelsior, was Bunny nur recht war. Zimmerservice, weißt du. Für den Rest meiner Zeit in Rom hielt ich ziemlich beunruhigt Ausschau nach dem Mann – meine Güte, ich träume heute noch von ihm –, aber ich sah ihn nicht wieder.«
»Was glaubst du, was er wollte? Geld?«
Henry zuckte die Achseln. »Wer weiß? Leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig Geld, das ich ihm hätte geben können. Bunnys Ausflüge zu den Herrenschneidern und so weiter hatten mich so gut wie Bankrott gemacht, und als wir dann noch in dieses Hotel umziehen mußten ... mir lag nichts an dem Geld, wirklich nicht, aber er machte mich fast wahnsinnig. Nie war ich einen Augenblick allein. Es war unmöglich, einen Brief zu schreiben oder auch nur zu telefonieren, ohne daß Bunny im Hintergrund herumlungerte, arrectis auribus, und zu lauschen versuchte. Wenn ich badete, ging er in mein Zimmer und wühlte in meinen Sachen; wenn ich dann herauskam, waren meine Kleider in der Kommode ganz zerknüllt, und zwischen den Seiten meiner Notizbücher lagen Krümel. Alles, was ich tat, machte ihn mißtrauisch.
Ich ertrug es, so lange ich konnte, aber allmählich war ich verzweifelt. Gewiß, es konnte gefährlich sein, ihn allein in Rom zurückzulassen, aber mit jedem Tag schien alles schlimmer zu werden, und irgendwann war klar, daß es keine Lösung wäre, länger zu bleiben. Ich wußte bereits, daß wir vier unter keinen Umständen im Frühling wie gewöhnlich wieder aufs College zurückkehren konnten – obwohl, sieh uns an – und daß wir einen Plan entwikkeln mußten, und zwar wahrscheinlich einen ziemlich pyrrhushaften und unbefriedigenden Plan. Aber ich brauchte Zeit und Ruhe und ein paar Wochen Gnadenfrist in den Staaten, wenn ich dazu in der Lage sein sollte. Und so packte ich eines Nachts im Excelsior, als Bunny betrunken war und fest schlief, meine Sachen, ließ ihm sein Rückflugticket und zweitausend Dollar und keine Nachricht da, fuhr mit dem Taxis zum Flughafen und stieg in das erste Flugzeug nach Hause.«
»Du hast ihm zweitausend Dollar dagelassen?« Ich war beinahe sprachlos.
Henry zuckte die Achseln. Francis schüttelte den Kopf und schnaubte. »Das ist nichts«, sagte er.
Ich starrte die beiden an. »Es ist wirklich nichts«, sagte Henry milde. »Ich kann dir gar nicht sagen, was mich diese Reise nach Italien gekostet hat. Meine Eltern sind großzügig, aber so großzügig nun auch wieder nicht. Ich habe nie in meinem Leben um Geld bitten müssen, außer in den letzten paar Monaten. Wie die Dinge liegen, sind meine Ersparnisse praktisch weg, und ich weiß nicht, wie lange ich sie noch mit Geschichten über umfangreiche Autoreparaturen und solche Sachen abspeisen kann. Ich meine, ich war bereit, mit Bunny vernünftig umzugehen, aber er begreift anscheinend überhaupt nicht, daß ich letzten Endes auch nur ein Student mit einem Taschengeld bin und kein unerschöpflicher Goldesel ... Und das Schreckliche ist: Ich sehe kein Ende in dieser Sache. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn meine Eltern die Nase voll hätten und mir den Geldhahn zudrehten – und irgendwann in naher Zukunft wird das höchstwahrscheinlich passieren, wenn es so weitergeht wie bisher.«
»Er erpreßt dich?«
Henry und Francis schauten einander an.
»Na ja, so kann man es eigentlich nicht sagen«, meinte Francis.
Henry schüttelte den Kopf. »Bunny sieht es nicht in solchen Kategorien«, erklärte er müde. »Du müßtest seine Eltern kennen, um das zu verstehen. Was die Corcorans mit ihren Söhnen getan haben – sie haben sie allesamt auf die teuersten Schulen geschickt, auf die sie nur kommen konnten, und wenn sie einmal da waren, mußten sie sich selbst durchschlagen. Seine Eltern geben ihm keinen Cent. Anscheinend haben sie es noch nie getan. Er hat mir erzählt, als sie ihn nach Saint Jerome’s schickten, bekam er nicht einmal Geld für seine Schulbücher. Eine ziemlich sonderbare Erziehungsmethode, meiner Meinung nach – wie bei manchen Reptilien, die ihre Jungen ausbrüten und sie dann den Elementen überlassen. Es
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