Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
sich mit keinem Wort zu dem, was gerade geschehen war. Ich aß mein Frühstück, und ich wußte, daß ich nichts weiter tun konnte, als mich um einen klaren Kopf zu bemühen. Ich hatte ihn gekränkt, das wußte ich – es standen wirklich ein paar sehr unfreundliche Dinge in dem Tagebuch –, und deshalb beschloß ich, von jetzt an so freundlich wie möglich zu ihm zu sein und zu hoffen, daß sich schon alles wieder einrenken werde.«
    Er hielt inne, um einen Schluck Whiskey zu trinken. Ich sah ihn an.
    »Soll das heißen, du dachtest, Bunny würde keine weiteren Probleme machen?«« fragte ich.
    »Ich kenne Bunny besser als du«, sagte Henry grob.
    »Ja, aber was er da gesagt hatte – daß er zur Polizei gehen wollte ... ?«
    »Ich wußte, daß er nicht vorhatte, zur Polizei zu gehen, Richard.«
    »Wenn es bloß um den Toten gegangen wäre, dann hätte die Sache anders ausgesehen, verstehst du?« Francis beugte sich im Sessel nach vorn. »Bunny hat nicht etwa Gewissensbisse. Er verspürt auch keinerlei echte moralische Empörung. Er findet nur, daß ihm in dieser ganzen Geschichte irgendwie Unrecht geschehen ist.«
    »Ja, offen gesagt, ich dachte, ich tue ihm einen Gefallen, indem ich es ihm nicht erzähle«, erklärte Henry. »Aber er war wütend – oder er ist wütend, sollte ich wohl sagen –, weil ihm die Sache verheimlicht wurde. Er fühlt sich verletzt. Ausgeschlossen. Und am besten versuchte ich, das wiedergutzumachen. Wir sind ja alte Freunde, er und ich.«
    »Erzähl ihm von den Sachen, die Bunny mit deiner Kreditkarte gekauft hat, während du krank warst.«
    »Das habe ich erst später erfahren«, sagte Henry düster. »Jetzt kommt es darauf nicht mehr an.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich nehme an, als er alles herausgefunden hatte, war er in einer Art Schockzustand«, meinte er. »Außerdem war er in einem fremden Land; er sprach die Sprache nicht und hatte keinen Cent eigenes Geld. Eine Zeitlang war alles in Ordnung mit ihm. Nichtsdestoweniger:
Als er einmal begriffen hatte – und dazu brauchte er nicht lange –, daß ich ihm den Umständen zum Trotz weitgehend auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war, da ließ er mich Qualen leiden, die du dir nicht vorstellen kannst. Er redete dauernd darüber. In Restaurants, in Geschäften, in Taxis. Natürlich war es in der Nachsaison, und es waren nicht viele Engländer und Amerikaner da, aber nach allem, was ich weiß, sitzen jetzt ganze Familien in Ohio und fragen sich, ob ... 0 Gott. Erschöpfende Monologe in der Hosteria dell’Orso. Ein Streit in der Via dei Cestari. Eine mißglückte Inszenierung des Ganzen in der Lobby des Grandhotels.
    Eines Nachmittags in einem Café saß er auch wieder da und redete und redete, und ich merkte, daß ein Mann am Nebentisch jedes Wort aufmerksam mit anhörte. Wir standen auf und wollten gehen. Er stand auch auf. Es war ein Deutscher, das wußte ich, weil ich ihn mit dem Kellner hatte sprechen hören, aber ich hatte keine Ahnung, ob er Englisch konnte und ob er Bunny deutlich genug gehört hatte, um alles zu verstehen. Vielleicht war es nur ein Homosexueller, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ich führte uns durch die Gassen nach Hause, bog um diese und um jene Ecke und war schließlich ganz sicher, daß wir ihn abgehängt hatten, aber anscheinend hatten wir es doch nicht geschafft, denn als ich am nächsten Morgen aufwachte und aus dem Fenster sah, stand er unten am Springbrunnen. Bunny war entzückt. Er fand, es sei wie in einem Spionagefilm. Er wollte hinausgehen und sehen, ob der Kerl uns wieder folgen würde, und ich mußte ihn praktisch gewaltsam daran hindern. Den ganzen Vormittag schaute ich aus dem Fenster. Der Deutsche stand herum, rauchte ein paar Zigaretten und schlenderte nach zwei Stunden davon; aber erst gegen vier, als Bunny, der seit dem Mittag unablässig geklagt hatte, anfing, großes Getöse zu veranstalten, gingen wir endlich etwas essen. Wir waren nur ein paar Straßen weit gekommen, als ich den Deutschen wieder zu sehen glaubte; er ging in einigem Abstand hinter uns her. Ich machte kehrt, in der Hoffnung, ihn zu vertreiben. Er verschwand, aber als ich mich nach wenigen Minuten umdrehte, sah ich, daß er wieder da war.
    Bis dahin war ich beunruhigt gewesen, aber jetzt hatte ich allmählich wirklich Angst. Sofort verdrückten wir uns in eine Seitenstraße und gingen auf einem Umweg wieder nach Hause – Bunny bekam an diesem Tag kein Mittagessen, und er machte mich fast

Weitere Kostenlose Bücher