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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Wohnung war blau vom Rauch, und die weite Fläche des weißen Linoleums wirkte darin arktisch und surreal. Musik von der Stereoanlage eines Nachbarn drang durch die Wand. Grateful Dead. Du meine Güte. »Trouble ahead ... the lady in red  ...«
    »Es ist schrecklich, was wir da getan haben«, sagte Francis unvermittelt. »Ich meine, es war nicht Voltaire, den wir da umgebracht haben. Aber trotzdem. Es ist eine Schande. Ich fühle mich sehr unwohl dabei.«
    »Natürlich, ich auch«, sagte Henry sachlich. »Aber nicht so unwohl, daß ich dafür ins Gefängnis gehen möchte.«
    Francis schnaubte, goß sich noch einen Schuß Whisky ins Glas und trank es gleich leer. »Nein«, sagte er. »So unwohl nicht.«
    Niemand sagte etwas. Ich fühlte mich schläfrig und flau, als wäre dies ein nachklingender Traum, geträumt mit schwerem Magen. Ich hatte die Frage schon einmal gestellt und stellte sie wieder, und der Klang meiner eigenen Stimme in dem stillen Zimmer erfüllte mich mit milder Überraschung. »Was werdet ihr tun?«
    »Ich weiß nicht, was wir tun werden«, sagte Henry so gelassen, als hätte ich ihn nach seinen Plänen für den Nachmittag gefragt.
    »Na, ich weiß, was ich tun werde«, sagte Francis. Er stand schwankend auf und zerrte mit einem Zeigefinger an seinem Kragen. Verblüfft sah ich ihn an, und er lachte, als er sah, wie überrascht ich war.
    »Ich will schlafen«, erklärte er mit melodramatischem Augenrollen, »› dormir plutôt que vivre ‹!«
    »› Dans un sommeil aussi doux que la mort.  ... ‹«, sagte Henry lächelnd.
    »Jesus, Henry, du kennst wirklich alles«, sagte Francis. »Das kotzt mich an.« Unsicher wandte er sich ab, lockerte seine Krawatte und schwankte aus dem Zimmer.
    »Ich glaube, er ist ziemlich betrunken«, meinte Henry, als irgendwo eine Tür zuschlug und wir im Bad heftiges Wasserrauschen hörten. »Es ist noch früh. Hast du Lust, ein, zwei Runden Karten zu spielen?«
    Ich blinzelte ihn an.
    Er langte hinüber zu dem Seitentisch und nahm ein Kartenspiel aus einem Kasten – Tiffany-Karten mit himmelblauem Rücken und Francis’ Initialen in Gold –, und er begann, mit geübten Händen zu mischen. »Wir könnten Bezique spielen oder Euchre, wenn dir das lieber ist«, sagte er. Das Blau und das Gold verschwammen in seinen Händen ineinander. »Ich selbst spiele gern Poker – natürlich ist es ein ziemlich vulgäres Spiel und macht zu zweit überhaupt keinen Spaß –, aber trotzdem, es hat ein gewisses Element des Zufalls, das mir gefällt.«
    Ich sah ihn an, sah seine sicheren Hände, die schwirrenden Karten, und plötzlich kam mir eine seltsame Erinnerung in den Sinn: Töjö, auf dem Höhepunkt des Krieges, wie er seine Adjutanten zwang, aufzubleiben und die ganze Nacht über mit ihm Karten zu spielen.
    Er schob mir den Stoß herüber. »Willst du abheben?« fragte er und zündete sich eine Zigarette an.
    Ich schaute auf die Karten, dann auf die Zündholzflamme, die klar und ohne zu flackern vor seinen Fingern brannte.
    »Du machst dir keine allzu großen Sorgen darüber, was?« stellte ich fest.
    Henry nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, blies den Rauch von sich und schüttelte das Streichholz aus. »Nein«, sagte er und betrachtete nachdenklich das Rauchfähnchen, das sich von der Glut emporkräuselte. »Ich kann uns da rausbringen, glaube ich. Aber das hängt davon ab, daß sich uns die richtige Gelegenheit bietet, und darauf werden wir warten müssen. Ich nehme an, es hängt außerdem in einem gewissen Maße davon ab, wieviel wir am Ende zu tun bereit sind. Soll ich geben?« Er griff wieder nach den Karten.
     
    Ich erwachte aus einem schweren, traumlosen Schlaf in unbequemer Lage auf Francis’ Couch. Die Morgensonne strahlte durch die Fensterreihe am anderen Ende des Zimmers. Ich blieb eine Zeitlang regungslos liegen und versuchte mich zu erinnern, wo ich war und wie ich dort hingekommen war; es war eine angenehme Empfindung, die aber unversehens schal wurde, als mir wieder einfiel, was am Abend zuvor geschehen war. Ich richtete mich auf und rieb das Waffelmuster, das das Sofapolster auf meiner Wange hinterlassen hatte. Die Bewegung machte mir Kopfschmerzen. Ich starrte den überquellenden Aschenbecher an, die dreiviertelleere Flasche »Famous Grouse«, die Poker-Patience auf dem Tisch. Es war also alles Wirklichkeit gewesen, kein Traum.
    Ich hatte Durst. Ich ging in die Küche, und meine Schritte hallten durch die Stille; ich blieb am Spülbecken stehen

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