Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
ist nicht verwunderlich, daß dies in Bunny die Auffassung hat entstehen lassen, es sei ehrenhafter, seinen Lebensunterhalt bei anderen Leuten zusammenzuschnorren, statt zu arbeiten.«
»Aber ich dachte, seine Familie wäre so blaublütig«, wandte ich ein.
»Die Corcorans leiden unter Größenwahn. Das Problem ist bloß, daß ihnen das nötige Geld dazu fehlt. Zweifellos halten sie es für höchst aristokratisch und großartig, ihre Söhne in die Nester anderer Leute zu setzen.«
»Er kennt keine Scham in diesem Punkt«, sagte Francis. »Nicht mal vor den Zwillingen schreckt er zurück, und dabei sind sie fast so arm wie er.«
»Je größer die Summen, desto besser, und er denkt nie daran, etwas zurückzuzahlen. Und natürlich würde er lieber sterben, als sich einen Job zu suchen.«
»Die Corcorans würden ihn auch lieber tot sehen«, bemerkte Francis säuerlich, zündete sich eine Zigarette an und hustete, als er den Rauch ausblies. »Aber diese heikle Scheu vor der Arbeit wird ein bißchen strapaziös, wenn man gezwungen ist, seinen Unterhalt selbst zu bestreiten.«
»Es ist unfaßbar«, sagte Henry. »Ich hätte lieber irgendeinen Job, von mir aus sechs Jobs, ehe ich die Leute anbettelte. Sieh dich doch an«, sagte er zu mir. »Deine Eltern behandeln dich auch nicht gerade großzügig, oder? Aber du hast solche Skrupel davor, dir Geld zu leihen, daß es schon ziemlich albern ist.«
Ich schwieg verlegen.
»Himmel. Ich glaube, du wärest lieber in diesem Lagerhaus gestorben, als einen von uns telegrafisch um zweihundert Dollar anzupumpen.« Er zündete sich eine Zigarette an und blies nachdrücklich eine Rauchwolke von sich. »Und das ist eine winzige Summe. Ich bin sicher, wir werden bis zum nächsten Wochenende das Zwei- oder Dreifache für Bunny ausgeben müssen.«
Ich starrte ihn an. »Du machst Witze.«
»Ich wünschte, es wäre so.«
»Ich habe auch nichts dagegen, Geld zu verleihen«, sagte Francis, »wenn ich welches habe. Aber Bunny borgt über alles vernünftige Maß. Selbst in alten Zeiten hat er sich nichts dabei gedacht, einfach mal so um hundert Dollar zu bitten, und das, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Und nie ein Wort des Dankes«, ergänzte Henry gereizt. »Wofür kann er es ausgeben? Wenn er auch nur einen Fetzen Selbstachtung hätte, würde er zur Stellenvermittlung hinuntergehen und sich einen Job besorgen.«
»Du und ich stehen vielleicht in zwei Wochen dort vor der Tür, wenn er nicht aufhört«, sagte Francis düster, schenkte sich noch ein Glas Scotch ein und ließ dabei eine Menge auf den Tisch schwappen. »Tausende «, sagte er zu mir und trank vorsichtig vom zitternden Rand seines Glases. »Und das meiste für Restaurantrechnungen, das Schwein. Alles ganz freundlich: Warum gehen wir nicht essen, und dergleichen. Aber wie die Dinge liegen, wie
kann ich da nein sagen? Meine Mutter denkt, ich nehme Drogen. Vermutlich kann sie kaum etwas anderes denken. Sie hat meinen Großeltern gesagt, sie sollten mir kein Geld geben, und seit Januar habe ich nur noch meinen verdammten Dividendenscheck bekommen. Das ist auch soweit in Ordnung, aber ich kann davon nicht jeden Abend Hundertdollaressen spendieren.«
Henry zuckte die Achseln. »Er war immer schon so«, sagte er. »Immer. Er ist amüsant; ich mochte ihn, und ich hatte ein bißchen Mitleid mit ihm. Was bedeutete es mir schon, ihm das Geld für die Schulbücher zu leihen und zu wissen, daß er es nicht zurückzahlen würde?«
»Aber jetzt«, sagte Francis, »geht es nicht bloß um Geld für Schulbücher. Und jetzt können wir nicht nein sagen.«
»Wie lange könnt ihr noch so weitermachen?«
»Nicht in alle Ewigkeit.«
»Und wenn euer Geld aufgebraucht ist?«
»Ich weiß nicht«, sagte Henry, schob die Hand hinter seine Brille und rieb sich die Augen.
»Vielleicht könnte ich mal mit ihm reden.«
»Nein «, sagten Henry und Francis wie aus einem Mund und mit einer Schärfe, die mich überraschte.
»Warum ... ?«
Eine verlegene Pause trat ein, die Francis schließlich beendete.
»Na ja, vielleicht weißt du es, vielleicht auch nicht«, sagte er, »aber Bunny ist ein bißchen eifersüchtig auf dich. Er glaubt jetzt schon, wir hätten uns alle gegen ihn verbündet. Wenn er jetzt auch noch denkt, du hättest dich mit uns zusammengetan ...«
»Du darfst dir nicht anmerken lassen, daß du Bescheid weißt«, sagte Henry. »Niemals. Es sei denn, du willst alles noch schlimmer machen.«
Eine Zeitlang sagte niemand etwas. Die
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