Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
Gefühl, er könne noch etwas anderes im Sinn haben als das Vergnügen meiner Gesellschaft. Ich ging mit der Einladung nach Hause und studierte sie. Der lebhafte, gewundene Stil, in dem sie verfaßt war, trug wenig dazu bei, mir das Gefühl zu nehmen, es stecke mehr dahinter, als auf den ersten Blick ersichtlich sei. Ich rief die Vermittlung an und hinterließ eine Nachricht für ihn: Er solle mich am nächsten Tag um eins erwarten.
     
    »Julian weiß doch nicht Bescheid über das, was passiert ist, oder?« fragte ich Henry, als ich ihn an diesem Tag traf.
    »Was? Oh, doch«, sagte Henry und blickte von seinem Buch auf. »Natürlich.«
    »Er weiß, daß ihr diesen Typen umgebracht habt?«
    »Wirklich, du brauchst nicht so laut zu werden«, sagte Henry in scharfem Ton und drehte sich im Sessel um. Dann fuhr er gedämpfter fort: »Er hat gewußt, was wir versuchten, und er hat es gebilligt. Am Tag nachdem es passiert war, fuhren wir mit dem Wagen hinaus zu seinem Haus auf dem Land. Erzählten ihm, was passiert war. Er war entzüclct.«
    »Ihr habt ihm alles erzählt?«
    »Na ja, ich sah keinen Grund, ihn zu beunruhigen, wenn du das meinst«, sagte Henry, rückte seine Brille zurecht und vertiefte sich wieder in sein Buch.
     
    Julian hatte den Lunch selbstverständlich eigenhändig zubereitet, und wir aßen an dem großen runden Tisch in seinem Büro. Seit Wochen kannte ich nichts als schlechte Nerven, schlechte Gespräche und schlechtes Mensa-Essen, und so war die Aussicht auf eine
Mahlzeit mit ihm äußerst aufmunternd; er war ein bezaubernder Gesellschafter, und sein Essen war zwar trügerisch einfach, aber von einer augustäischen Bekömmlichkeit und Fülle, die zwangsläufig wohltun mußte.
    Es gab Lammbraten, neue Kartoffeln, Erbsen mit Lauch und Fenchel und dazu eine Flasche schweren, beinahe aufreizend köstlichen Château Latour. Ich aß mit einem Appetit wie seit langem nicht mehr, bis ich bemerkte, daß wie durch unauffällige Magie ein vierter Gang erschienen war: Pilze. Es waren blasse, schlankstielige Pilze von einer Sorte, die ich schon einmal gesehen hatte, in einer dampfenden Rotweinsauce, die nach Koriander und Raute duftete.
    »Woher haben Sie die?« fragte ich.
    »Ah. Sie haben ein aufmerksames Auge«, sagte er erfreut. »Sind sie nicht wunderbar? Ziemlich selten. Henry hat sie mir gebracht.«
    Ich nahm rasch einen Schluck Wein, um meine Betroffenheit zu verbergen.
    »Er hat mir erzählt – darf ich? Er deutete mit dem Kopf auf die Schüssel.
    Ich reichte sie ihm, und er löffelte sich ein paar Pilze auf den Teller. »Danke«, sagte er. »Wo war ich? Ach ja. Henry hat mir erzählt, daß diese spezielle Pilzart bei Kaiser Claudius sehr beliebt war. Interessant, denn Sie erinnern sich, wie Claudius starb.«
    Ich erinnerte mich allerdings. Agrippina hatte ihm eines Tages einen giftigen Pilz ins Essen geschmuggelt.
    »Sie sind sehr gut«, sagte Julian und nahm einen Bissen. »Waren Sie schon einmal mit Henry auf einer seiner Sammelexpeditionen?«
    »Noch nicht. Er hat mich noch nicht dazu aufgefordert.«
    »Ich muß sagen, ich hätte nie gedacht, daß mir viel an Pilzen liegt, aber alles, was er mir gebracht hat, war himmlisch.«
    Plötzlich verstand ich. Dies war eine gerissene Art der Vorbereitung, die Henry da betrieb. »Er hat Ihnen schon früher welche gebracht?«
    »Ja. Natürlich würde ich bei so etwas nicht jedem vertrauen, aber Henry scheint erstaunlich viel darüber zu wissen.«
    »Ich glaube, das ist wohl so«, sagte ich und dachte an die Boxerhunde.
    »Es ist bemerkenswert, wie gut er in allem ist, was er in Angriff nimmt. Er kann Blumen züchten, repariert Uhren wie ein Juwelier, kann gewaltige Additionen im Kopf ausführen. Selbst wenn es um
etwas so Einfaches geht wie das Verbinden eines verletzten Fingers, gelingt es ihm, es besser zu machen als andere.« Er schenkte sich noch ein Glas Wein ein. »Ich höre, seine Eltern sind enttäuscht, weil er beschlossen hat, sich so ausschließlich auf die Klassiker zu konzentrieren. Ich bin natürlich anderer Ansicht, aber in gewissem Sinn ist es durchaus schade. Er wäre auch ein großer Arzt, Soldat oder Wissenschaftler geworden.«
    Ich lachte. »Oder ein großer Spion.«
    Julian lachte ebenfalls. »Sie wären alle große Spione geworden«, sagte er. »Sich in Casinos herumtreiben, Staatschefs belauschen ... Wirklich, wollen Sie nicht doch ein paar Pilze probieren? Sie sind herrlich.«
    Ich trank mein Weinglas leer. »Warum nicht«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher