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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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du es für mich herausbekommen?«
    »Leider nicht; ich habe schon so viel getan, wie ich kann. Ich kann dir praktisch keine richtige Antwort geben. Selbst für einen Matheprofessor wäre das ein harter Brocken.«
    »Hmn«, sagte Henry und blickte über meine Schulter auf das Blatt auf dem Schreibtisch. »Ich bin schwerer als Bun, weißt du. Um fünfundzwanzig Pfund. Das müßte doch etwas bedeuten, oder?«
    »Ja, aber der Größenunterschied ist nicht groß genug, um dich darauf zu verlassen – nicht bei einer potentiell so großen Fehlermenge.«
    »Das Gift wirkt erst nach mindestens zwölf Stunden«, sagte er. »Das heißt, selbst bei einer Überdosis habe ich einen gewissen Vorteil, eine Gnadenfrist. Wenn ich für mich selbst ein Gegenmittel zur Hand habe, für alle Fälle ...«
    »Ein Gegenmittel?« sagte ich entnervt und ließ mich zurücksinken. »Gibt es denn so was?«
    »Atropin. Das ist in der Tollkirsche.«
    »Ja, Himmel, Henry. Wenn du dich mit dem einen nicht erledigst, dann mit dem anderen.
    »Atropin ist in kleinen Dosen völlig ungefährlich.«
    »Das sagt man auch über Arsen, aber ausprobieren würde ich es nicht gern.«
    »Die Wirkung ist genau entgegengesetzt. Atropin beschleunigt das Nervensystem – schneller Herzschlag und so weiter. Amatoxine bremsen es.«
    »Es klingt immer noch faul. Ein Gift als Gegenmittel für ein anderes Gift.«
    »Ganz und gar nicht. Die Perser verstanden sich meisterhaft auf Gifte, und sie sagen ...«
    Ich erinnerte mich an die Bücher in Henrys Auto. »Die Perser?« wiederholte ich.
    »Ja. Nach Auskunft des großen ...«
    »Ich wußte nicht, daß du Arabisch lesen kannst.«
    »Ich kann es auch nicht – zumindest nicht gut. Aber sie sind die großen Autoritäten zu diesem Thema, und die meisten der Bücher, die ich brauche, sind nicht übersetzt. Ich habe sie mit einem Wörterbuch durchgearbeitet, so gut ich kann.«
    Ich dachte an die Bücher, die ich gesehen hatte: staubig, die Bindung brüchig vom Alter. »Wann wurden diese Bücher geschrieben?«
    »Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, würde ich meinen.«
    Ich legte den Bleistift aus der Hand. »Henry.«
    »Was?«
    »Du solltest klüger sein. Du kannst dich doch nicht auf etwas so Altes verlassen.«
    »Die Perser waren Meister in Giftsachen. Es sind praktische Handbücher, Gebrauchsanweisungen, wenn du willst. Ich kenne nichts annähernd Vergleichbares.«
    »Leute vergiften ist etwas ganz anderes, als sie zu heilen.«
    »Man benutzt diese Bücher seit Jahrhunderten. Ihre Genauigkeit ist unbestritten.«
    »Na, ich habe genauso viel Respekt vor alter Wissenschaft wie du, aber ich weiß nicht, ob ich mein Leben irgendeinem Hausmittel aus dem Mittelalter anvertrauen möchte.«
    »Na ja, vermutlich kann ich es ja noch anderswo nachprüfen«, meinte er, aber es klang nicht überzeugt.
    »Wirklich, die Sache ist zu ernst, um ...«
    »Danke«, sagte er geschmeidig. »Du hast mir sehr geholfen.« Er schlug das Purgatorio wieder auf. »Das hier ist keine besonders gute Übersetzung, weißt du.« Er blätterte müßig darin. »Die von Singleton ist die beste, wenn du nicht Italienisch lesen kannst – ganz wörtlich, aber dabei büßt du natürlich die terza rima ein. Dafür müßtest du das Original lesen. Bei ganz großer Dichtung dringt die Musik oft durch, selbst wenn man die Sprache nicht versteht. Ich habe Dante leidenschaftlich geliebt, als ich noch kein Wort Italienisch konnte.«
    »Henry«, sagte ich leise und eindringlich.
    Er sah verärgert zu mir herüber. »Alles, was ich tue, wird gefährlich sein, weißt du.«
    »Aber nichts hat einen Sinn, wenn du dabei stirbst.«
    »Je mehr ich über luxuriöse Flußschiffe höre, desto weniger schrecklich erscheint mir allmählich der Tod«, antwortete er. »Du warst eine große Hilfe. Gute Nacht.«
     
    Am frühen Nachmittag des nächsten Tages kam Charles zu Besuch. »Meine Güte, ist es heiß hier drin«, sagte er, schüttelte seinen nassen Mantel ab und warf ihn über eine Stuhllehne. Sein Haar war feucht, sein Gesicht leuchtend rot. Ein Wassertropfen hing zitternd an der Spitze seiner langen, feinen Nase. Schniefend wischte er ihn ab. »Geh bloß nicht raus, was immer du vorhast«, warnte er. »Es ist schrecklich draußen. Übrigens, du hast Francis wohl nicht gesehen, oder?«
    Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Es war Freitag nachmittag und unterrichtsfrei; ich war den ganzen Tag nicht aus dem Zimmer gegangen und hatte in der Nacht zuvor nicht viel

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