Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
Unten sah ich seine wankende, zottelköpfige Gestalt, Halt suchend an einen dünnen Baumstamm geklammert.
    »Was zum Teufel ist los mit dir?«
    Er antwortete nicht, sondern hob die freie Hand in einer halb winkenden, halb salutierenden Gebärde und taumelte aus dem Licht. Die Hintertür fiel laut ins Schloß, und ein paar Augenblicke später hämmerte er an meine Zimmertür.
    Als ich aufmachte, kam er auf einem Schuh und einem Strumpf hereingehinkt und hinterließ eine Schlammspur von makabren, ungleichen Fußabdrücken. Seine Brille saß schief, und er stank nach Whiskey. »Dickyboy«, murmelte er.
    Der Ausbruch unter meinem Fenster schien ihn erschöpft zu haben, und er war plötzlich seltsam unlcommunikativ. Er zog die schlammverschmierte Socke aus und warf sie unbeholfen von sich. Sie landete auf meinem Bett.
    Stück für Stück konnte ich die Ereignisse des Abends aus ihm herausholen. Die Zwillinge waren mit ihm essen gegangen und nachher in eine Bar in der Stadt, um noch etwas zu trinken. Dann hatte er allein auf der Party drüben vorbeigeschaut, wo ein Holländer versucht hatte, ihn Pot rauchen zu lassen, und ein Mädchen aus dem Erstsemester ihm Tequila aus einer Thermosflasche eingeflößt hatte. (»Hübsch, die Kleine. Aber irgendwie ’ne komische Tussi. Sie hatte Clogs an den Füßen – kennst du die Dinger? Und’n gebatiktes T-Shirt. Ich kann so was nicht ausstehen. ›Honey‹, sag’ ich zu ihr, ›du bist so niedlich – wieso mußt du dich mit diesen grausigen Klamotten behängen?‹«) Dann brach er seinen Bericht unvermittelt ab und schwankte davon – die Zimmertür ließ er offen –, und ich hörte, wie er sich geräuschvoll und heftig übergab.
    Er blieb lange weg. Als er zurückkam, roch er sauer, und er war feucht und sehr blaß im Gesicht; aber er schien sich gefaßt zu haben. »Puh«, sagte er, ließ sich in meinen Sessel fallen und wischte sich mit einem roten Halstuch über die Stirn. »Muß irgendwas gegessen haben.«
    »Hast du es bis ins Badezimmer geschafft?« fragte ich unsicher. Die Kotzerei hatte sich bedrohlich nah bei meiner Zimmertür abgespielt.
    »Nee«, sagte er. »Bin in den Besenschrank gerannt. Gib mir’n Glas Wasser, ja?««
    Die Tür zur Putzkammer im Korridor stand halb offen, und ich gestattete mir einen schüchternen Blick auf das stinkende Grauen dahinter. Eilig lief ich daran vorbei in die Küche.
    Bunny sah mich mit glasigen Augen an, als ich zurückkam. Sein Gesichtsausdruck hatte sich völlig verändert, und etwas daran bereitete mir Unbehagen. Ich gab ihm das Wasserglas, und er trank mit großen, gierigen Schlucken.
    »Nicht zu schnell«, sagte ich besorgt.
    Er kümmerte sich nicht darum, sondern trank es in einem Zug leer; dann stellte er das Glas mit zitternder Hand auf den Schreibtisch. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.
    »O mein Gott«, sagte er. »Gütiger Jesus.«
    Voller Unbehagen ging ich zu meinem Bett und setzte mich, und ich suchte nach einem unverfänglichen Thema, aber ehe ich etwas sagen konnte, sprach er weiter.
    »Ich packe das nicht länger«, murmelte er. »Kann einfach nicht. Gütiger italienischer Jesus.«
    Ich sagte nichts.
    Zittrig strich er sich mit der Hand über die Stirn. »Du weißt nicht mal, wovon, zum Teufel, ich eigentlich rede, was? Ein seltsam unangenehmer Ton lag jetzt in seiner Stimme.
    Nervös schlug ich die Beine übereinander. Ich hatte es kommen sehen, seit Monaten kommen sehen, und mir hatte davor gegraut. Ich verspürte einen Impuls, aus dem Zimmer zu laufen, ihn einfach hier sitzen zu lassen, aber da vergrub er das Gesicht in den Händen.
    »Es ist alles wahr«, murmelte er. »Alles wahr. Ich schwöre bei Gott. Niemand weiß es außer mir.«
    Absurderweise hoffte ich unversehens, es möge ein falscher Alarm sein. Vielleicht hatten er und Marion sich getrennt. Vielleicht war sein Vater an einem Herzanfall gestorben. Ich saß wie gelähmt.
    Er zog die flachen Hände über Stirn und Wangen, als wische er sich Wasser aus dem Gesicht, und blickte zu mir auf. »Du hast keine Ahnung«, sagte er. Seine Augen waren blutunterlaufen, und sie glänzten unangenehm. »Mann. Du hast keinen verdammten Schimmer.«
    Ich stand auf, denn ich konnte es nicht länger ertragen; verstört sah ich mich im Zimmer um. »Äh«, sagte ich. »Möchtest du Aspirin? Das wollte ich dich vorhin schon fragen. Wenn du jetzt zwei nimmst, ist dir morgen früh nicht so ...«
    »Du glaubst, ich bin verrückt, nicht wahr?« sagte Bunny

Weitere Kostenlose Bücher