Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Praxis gemacht, das nicht zu tun. Und ich will Ihnen sagen, warum.«
»Ich weiß schon, Sir«, sagte ich hastig. Dr. Rolands Diskurse über seine »Praktiken« konnten gelegentlich eine halbe Stunde oder noch länger dauern. »Ich verstehe. Bloß, es ist eine Art Notfall.«
Er lehnte sich wieder nach vorn und räusperte sich. »Und was für ein Notfall«, fragte er, »wäre das?«
Er verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch; sie waren knorrig von Adern, und die Knöchel hatten einen bläulichen, perlmutternen Schimmer. Ich starrte sie an. Ich brauchte zehn oder zwanzig Dollar, dringend, aber ich war hereinplatzt, ohne mir vorher zu überlegen, was ich sagen wollte. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Da ist was passiert.«
Er furchte beeindruckend die Stirn. Dr. Rolands seniles Benehmen war angeblich eine Fassade; mir aber kam es durchaus echt vor, obgleich er manchmal, wenn man nicht aufpaßte, eine unerwartetaufblitzende Klarheitzeigte, die – auch wenn sie häufig nichts mit dem gerade in Frage stehenden Gegenstand zu tun hatte – ein
Hinweis darauf war, daß in den schlammtrüben Tiefen seines Bewußtseins stockend immer noch rationale Prozesse abliefen.
»Mein Wagen«, sagte ich in einer plötzlichen Inspiration. Ich hatte gar keinen Wagen. »Ich muß ihn reparieren lassen.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er sich eingehender erkundigen würde, aber er merkte sichtlich auf. »Was ist denn los?«
»Irgendwas mit dem Getriebe.«
»Doppelte Nockenwelle? Luftgekühlt?«
»Luftgekühlt.« Ich verlagerte mein Gewicht auf den anderen Fuß. Es gefiel mir nicht, wie dieses Gespräch sich entwickelte. Ich habe keinen blassen Schimmer von Autos und gerate in große Verzweiflung, wenn ich nur einen Reifen wechseln soll.
»Was haben Sie denn – eine von diesen kleinen V-6-Kisten?«
»Ja.«
»Die Jungen sind anscheinend alle ganz versessen darauf. Ich würde meine Kinder nie etwas anderes fahren lassen als einen V-8.«
Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf antworten sollte.
Er zog eine Schreibtischschublade auf und fing an, Gegenstände herauszunehmen, sie dicht vor die Augen zu heben und wieder wegzulegen. »Wenn das Getriebe einmal kaputtgeht«, sagte er, »ist ein Wagen meiner Erfahrung nach hin. Vor allem ein V-6. Ebensogut können Sie das Auto gleich verschrotten. Was mich betrifft, ich habe einen 98 Regency Brougham, zehn Jahre alt. Bei mir heißt es: regelmäßige Inspektion, neue Filter alle fünfzehnhundert Meilen, Ölwechsel alle dreitausend. Läuft wie ein Traum. Hüten Sie sich vor diesen Werkstätten in der Stadt«, fügte er scharf hinzu.
»Wie bitte?«
Endlich hatte er sein Scheckbuch gefunden. »Na, eigentlich sollten Sie zur Zahlstelle gehen, aber das hier ist wohl in Ordnung.« Er klappte es auf und fing an, mühselig zu schreiben. »Ein paar der Firmen in Hampden brauchen nur herauszufinden, daß Sie vom College kommen, und gleich berechnen sie das Doppelte. Redeemed Repair ist meistens am besten – die gehören zu einer Sekte, ›wiedergeborene Christen‹, aber sie werden Sie auch noch ziemlich tüchtig ausnehmen, wenn Sie nicht ein Auge drauf haben.«
Er riß den Scheck heraus und gab ihn mir. Ich warf einen Blick darauf, und mein Herz setzte einmal aus. Zweihundert Dollar. Er hatte unterschrieben und alles.
»Lassen Sie sich nicht einen einzigen Penny mehr abnehmen«, mahnte er.
»Nein, Sir«, sagte ich und konnte meine Freude kaum im Zaum
halten. Was würde ich mit all dem Geld anfangen? Vielleicht würde er ja sogar vergessen, daß er es mir gegeben hatte.
Er schob die Brille herunter und schaute mich über den Rand hinweg an. »Redeemed Repair«, sagte er. »Das ist draußen am Highway 6. Das Firmenschild sieht aus wie ein Kreuz.«
»Danke«, sagte ich.
Mit jauchzendem Herzen und zweihundert Dollar in der Tasche ging ich den Korridor entlang. Von einer Telefonzelle im Erdgeschoß aus rief ich mir ein Taxi, um nach Hampden Town zu fahren. Wenn es etwas gibt, worin ich gut bin, dann ist das, zu lügen, ohne rot zu werden. Es ist irgendwie ein Talent.
Und was tat ich in Hampden Town? Offen gestanden, ich war so überwältigt von meinem Glück, daß ich kaum etwas tat. Es war ein wunderschöner Tag; ich hatte es satt, arm zu sein, und so betrat ich, ehe ich mich besinnen konnte, ein teures Herrenausstattergeschäft am Platz und kaufte mir zwei Hemden. Dann ging ich hinunter zur Heilsarmee, wühlte dort eine Zeitlang in den Tonnen herum und fand einen Mantel
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