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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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aus Harris-Tweed und ein paar braune Schuhe mit weißen Spitzen, die mir paßten, dazu ein Paar Manschettenknöpfe und eine komische alte Krawatte mit Bildern von Männern, die Rehe jagten. Als ich aus dem Laden kam, stellte ich beglückt fest, daß ich immer noch fast hundert Dollar hatte. Sollte ich in die Buchhandlung gehen? Ins Kino? Eine Flasche Scotch kaufen? Mir war so wirr von all den Möglichkeiten, die sich mir feilboten, daß ich sie wie ein von einer Schar Prostituierter in Verwirrung gebrachter Bauernjunge einfach links liegenließ, mir in einer Telefonzelle ein Taxi bestellte und geradewegs nach Hause fuhr.
    In meinem Zimmer breitete ich die Kleider auf dem Bett aus. Die Manschettenknöpfe waren verschrammt und trugen fremde Initialen, aber sie sahen aus wie echtes Gold und blinkten in der trägen Herbstsonne, die zum Fenster hereinschien und den Eichenholzfußboden mit gelblichen Flecken tränkte – schläfrig, satt, berauschend.
     
    Es war ein Déjà-vu-Gefühl, als Julian am nächsten Nachmittag die Tür genauso öffnete wie beim ersten Mal, nur einen Spaltbreit, und wachsam herausspähte, als sei da etwas Wunderbares in seinem Büro, das er bewachen mußte und das nicht jeder zu sehen bekommen sollte. Es war ein Gefühl, das ich in den nächsten Monaten noch gut kennenlernen sollte. Noch heute, Jahre später und
weit fort, finde ich mich manchmal im Traum wieder vor dieser weißen Tür und warte darauf, daß er erscheint wie der Torwächter in einem Märchen: alterslos, wachsam und schlau wie ein Kind.
    Als er sah, daß ich es war, öffnete er die Tür ein Stückchen weiter als beim ersten Mal. »Mr. Pippin noch einmal, nicht wahr?« sagte er.
    Ich machte mir nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. »Leider ja.«
    Er sah mich einen Moment lang an. »Sie haben einen wunderbaren Namen, wissen Sie«, sagte er. »Es gab Könige in Frankreich, die Pippin hießen.«
    »Sind Sie gerade beschäftigt?«
    »Ich bin nie zu beschäftigt für einen Erben des französischen Throns, falls Sie das tatsächlich sein sollten«, antwortete er freundlich.
    »Leider nein.«
    Er lachte und zitierte ein kleines griechisches Epigramm über die Ehrlichkeit, die eine gefährliche Tugend sei, und zu meiner Überraschung öffnete er die Tür ganz und ließ mich eintreten.
    Es war ein schönes Zimmer, überhaupt kein Büro und viel größer, als es von außen erschien – luftig und weiß, mit einer hohen Decke und gestärkten Gardinen, die im Wind wehten. In der Ecke neben einem niedrigen Bücherregal stand ein großer runder Tisch voller Teegeschirr und griechischen Büchern, und überall waren Blumen, Rosen und Nelken und Anemonen, auf seinem Schreibtisch, auf dem Tisch, auf den Fensterbänken. Die Rosen dufteten besonders stark; ihr Geruch hing satt und schwer in der Luft, gemischt mit dem Aroma von Bergamotten und schwarzem chinesischen Tee und einem schwachen, tintigen Hauch von Kampfer. Ich atmete tief ein und fühlte mich berauscht. Wohin ich auch schaute, überall war etwas Schönes – orientalische Teppiche, Porzellan, winzige Gemälde wie Juwelen –, eine Flut von gebrochenen Farben, die über mich hereinbrach, als wäre ich in eine dieser kleinen byzantinischen Kirchen getreten, die von außen so schlicht aussehen und innen ein paradiesisch bemaltes Juwel voller goldener Mosaike sind.
    Er setzte sich in einen Sessel ans Fenster und wirkte mir, ebenfalls Platz zu nehmen. »Ich nehme an, Sie kommen wegen der Griechischklasse«, sagte er.
    »Ja.«
    Seine Augen blickten gütig und offen; sie waren eher grau als blau. »Es ist schon ziemlich spät im Semester«, sagte er.
    »Ich würde es gern wieder studieren. Es wäre schade, nach zwei Jahren damit aufzuhören.«
    Er zog die Brauen hoch und betrachtete einen Augenblick lang seine Hände. »Ich höre, Sie sind aus Kalifornien.«
    »Ja, das stimmt«, sagte ich ziemlich verblüfft. Wer hatte ihm das erzählt?
    »Ich kenne nicht viele Leute aus dem Westen«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob es mir dort gefallen würde.« Er schwieg und machte ein bekümmertes Gesicht. »Und was tut man in Kalifornien?«
    Ich spulte meinen Vortrag ab. Orangenhaine, gescheiterte Filmstars, Cocktailstunden im Lampenschein am Swimmingpool, Zigaretten, Überdruß. Er lauschte und schaute mir dabei fest in die Augen, anscheinend gebannt von diesen hochstaplerischen Erinnerungen. Nie war ich mit meinem Märchen auf solche Aufmerksamkeit gestoßen, auf so eifrige Zuwendung. Er wirkte so

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