Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
absolut fasziniert, daß ich mich versucht fühlte, die Sache ein wenig mehr auszuschmücken, als vielleicht klug gewesen wäre.
»Wie spannend «, sagte er warmherzig, als ich, selbst halb euphorisch, schließlich fertig war. »Wie überaus romantisch.«
»Na, wir sind alle ziemlich daran gewöhnt da draußen, wissen Sie«, sagte ich und bemühte mich, ganz erhitzt von meinem brillanten Erfolg, nicht zu zappeln.
»Und was sucht ein Mensch mit einem romantischen Temperament in der Beschäftigung mit den klassischen Sprachen?« Er stellte diese Frage, als brenne er nun, da er einmal das Glück gehabt hatte, einen so seltenen Vogel wie mich zu fangen, darauf, meine diesbezüglichen Ansichten aus mir herauszuholen, solange ich in seinem Büro eingesperrt war.
»Wenn Sie mit ›romantisch‹ einzelgängerisch und in sich gekehrt meinen«, sagte ich, »dann sind Romantiker, glaube ich, häufig die besten Klassizisten.«
Er lachte. »Die großen Romantiker sind häufig gescheiterte Klassizisten. Aber darum geht es nicht, oder? Wie finden Sie Hampden? Sind Sie glücklich hier?«
Ich lieferte – nicht so kurz, wie sie hätte ausfallen können – eine Exegese der Umstände, weshalb ich das College zur Zeit für meine Zwecke zufriedenstellend empfand.
»Junge Leute finden es oft langweilig auf dem Land«, sagte Julian. »Was nicht heißen soll, daß es nicht gut für sie ist. Sind Sie viel gereist? Sagen Sie mir, was Sie hierhergezogen hat. Man sollte meinen, ein junger Mann wie Sie wäre außerhalb der Großstadt
verloren, aber vielleicht sind Sie des Stadtlebens überdrüssig; ist das so?
So gewandt und gewinnend, daß ich völlig entwaffnet war, führte er mich zügig von einem Thema zum andern, und ich bin sicher, daß es ihm in diesem Gespräch, das mir nur wenige Minuten lang zu sein schien, in Wirklichkeit aber viel länger war, gelang, alles aus mir hervorzuholen, was er über mich wissen wollte. Ich kam nicht auf den Gedanken, sein Interesse könne etwas anderem entspringen als tiefster Freude an meiner Gesellschaft, und während ich unversehens ganz offen selbst über persönliche Dinge sprach, war ich überzeugt, aus eigenem Antrieb zu handeln. Der einzige Punkt, in dem er nicht mit mir übereinstimmte (abgesehen von einer ungläubig hochgezogenen Braue, als ich Picasso erwähnte; als ich ihn besser kannte, war mir klar, daß er dies fast als persönlichen Affront hatte werten müssen), war das Thema Psychologie, die mich schließlich sehr beschäftigte, weil ich ja für Dr. Roland arbeitete und so weiter.
»Aber glauben Sie wirklich«, fragte er besorgt, »daß man die Psychologie als Wissenschaft bezeichnen kann?«
»Sicher. Was wäre sie sonst?«
»Aber schon Platon wußte, daß Herkunft und soziale Zwänge und all das eine unabänderliche Wirkung auf das Individuum haben. Mir scheint, Psychologie ist nur ein anderes Wort für das, was die Alten Schicksal nannten.«
»Psychologie ist ein schreckliches Wort.«
Er pflichtete mir energisch bei. »Ja, es ist schrecklich, nicht wahr?« sagte er, aber wie seine Miene ahnen ließ, fand er es ziemlich geschmacklos, daß ich es überhaupt benutzte. »Vielleicht ist es in gewisser Hinsicht ein hilfreiches Konstrukt, um über eine bestimmte Art von Geist zu sprechen. Die Landmenschen hier in der Umgebung sind faszinierend, weil ihr Leben so determiniert ist, daß es wirklich von einer Art Faktum bestimmt zu sein scheint. Andererseits« — er lachte – »sind meine Studenten, fürchte ich, nie besonders interessant für mich, weil ich immer genau weiß, was sie tun werden.«
Ich war bezaubert von diesem Gespräch, und auch wenn es mir die Illusion vermittelte, ziemlich modern und weitschweifig zu sein (für mich ist es ein Kennzeichen des modernen Geistes, daß er es liebt, vom Thema abzukommen), sehe ich jetzt doch, daß er mich auf Umwegen immer wieder zu denselben Punkten führte. Denn wie der moderne Geist launenhaft und geschwätzig ist, so ist der
klassische schmalgleisig, unbeirrbar, unnachgiebig. Es ist eine Art von Intelligenz, der man heutzutage nicht oft begegnet.
Wir unterhielten uns noch eine Weile und verstummten dann. Einen Augenblick später sagte Julian höflich: »Wenn Sie möchten, würde ich Sie mit Vergnügen als Schüler annehmen, Mr. Papen.«
Ich schaute aus dem Fenster und hatte halb vergessen, weshalb ich eigentlich da war, und jetzt glotzte ich ihn an und wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Aber ehe Sie annehmen, müssen
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