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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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hinterlassen«, berichtete ich.
    »Du-weißt-schon-wer ist bereits den ganzen Tag auf dem Kriegspfad«, sagte Charles und schnitt sich eine Scheibe Brot ab.
    »Nicht jetzt, bitte«, sagte Henry in müdem Ton.
    Als das Geschirr abgeräumt war, stützte Henry die Ellbogen auf den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Er war unrasiert und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
    »Und – wie sind die Pläne?« fragte Francis.
    Henry warf das Streichholz in den Aschenbecher. »Dieses Wochenende«, sagte er. »Morgen.«
    Ich erstarrte, die Kaffeetasse auf halber Höhe vor meinem Mund, und schaute ihn an.
    »O mein Gott«, sagte Charles bestürzt. »So bald schon?«
    »Es kann nicht länger warten.«
    »Und wie? Was können wir denn so kurzfristig tun?«
    »Mir gefällt es auch nicht, aber wenn wir warten, haben wir erst nächstes Wochenende wieder Gelegenheit. Und unter Umständen haben wir dann überhaupt keine Gelegenheit mehr.«
    Kurzes Schweigen trat ein.
    »Ist das jetzt Tatsache?« fragte Charles unsicher. »Ich meine, ist das jetzt endgültig?«
    »Nichts ist endgültig«, sagte Henry. »Wir werden die Umstände nicht völlig unter Kontrolle haben. Aber ich möchte, daß wir bereit sind, wenn die Gelegenheit sich bietet.«
    »Das klingt aber irgendwie vage«, meinte Francis.
    »Ist es auch. Es geht leider nicht anders, weil Bunny nämlich den größten Teil der Arbeit selbst tun wird.«
    »Inwiefern?« Charles lehnte sich zurück.
    »Ein Unfall. Ein Wanderunfall, um genau zu sein.« Henry schwieg einen Moment lang. »Morgen ist Sonntag.«
    »Ja.«
    »Also wird Bunny morgen, wenn das Wetter gut ist, höchstwahrscheinlich spazierengehen.«
    »Das macht er aber nicht immer«, sagte Charles.
    »Sagen wir, er macht’s. Und wir haben eine ziemlich genaue Vorstellung von dem Weg, den er nimmt.«
    »Das kommt drauf an«, sagte ich. Ich hatte Bunny im vorigen Semester auf einer Reihe solcher Spaziergänge begleitet. Er neigte dazu, Bäche zu überqueren, Zäune zu überklettern und beliebig viele unerwartete Umwege einzuschlagen.
    »Ja, natürlich, aber im großen und ganzen wissen wir es doch«, sagte Henry. Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und breitete es auf dem Tisch aus. Als ich mich vorbeugte, sah ich, daß es eine Karte war. »Er verläßt sein Haus durch die Hintertür, geht hinter den Tennisplätzen herum und, wenn er den Wald erreicht hat, nicht weiter nach North Hampden, sondern in östlicher Richtung auf den Mount Cataract zu. Die Gegend dort ist dicht bewaldet, und das Gelände ist ziemlich unwegsam. Er geht bis zu diesem Wildwechsel – du weißt, welchen ich meine, Richard, diesen Pfad, der mit dem weißen Felsblock markiert ist –, und wendet sich dann scharf nach Südosten. Der Weg führt eine Dreiviertelmeile weit und gabelt sich dann ...«
    »Aber möglicherweise verpaßt du ihn, wenn du dort wartest«, wandte ich ein. »Ich bin die Strecke schon mit ihm gegangen. Er kann hier genausogut nach Westen abbiegen oder südwärts weitergehen.«
    »Gut, und er kann uns auch vorher schon entwischen, wenn wir Pech haben«, sagte Henry. »Ich habe schon erlebt, daß er den Weg überhaupt ignoriert und einfach nach Osten läuft, bis er auf den Highway stößt. Aber ich zähle auf die Wahrscheinlichkeit, daß er das nicht tut. Das Wetter ist schön – er wird keinen so leichten Spaziergang machen wollen.«
    »Aber die zweite Gabelung? Wie sollen wir wissen, welche Richtung er dort einschlagen wird?«
    »Das brauchen wir gar nicht zu wissen. Du weißt doch, wo er herauskommen wird, oder? An der Schlucht.«
    »Oh«, sagte Francis.
    Wir schwiegen lange.
    »Jetzt hört zu«, sagte Henry und nahm einen Bleistift aus der Tasche. »Er wird sich von der Schule her nähern, also von Süden. Wir können ihm völlig aus dem Weg gehen und vom Highway Six herkommen, also von Westen.«
    »Wir nehmen den Wagen?«
    »Ein Stück weit, ja. Hinter dem Schrottplatz, vor der Abzweigung nach Battenkill, ist ein Kiesweg. Ich dachte, es wäre eine Privatstraße, und dann hätten wir sie nicht benutzen können, aber ich war heute nachmittag auf dem Grundbuchamt und habe nachgesehen: Es ist bloß ein alter Holzweg. Endet irgendwo mitten im Wald. Aber er müßte uns geradewegs zu der Schlucht führen, bis auf eine Viertelmeile. Das letzte Stück können wir dann zu Fuß gehen.«
    »Und wenn wir dort sind?«
    »Na, dann warten wir. Ich bin Bunnys Weg von der Schule zur Schlucht heute nachmittag zweimal gegangen, hin und zurück,

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