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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Mord mitansah, da kam es mir vor wie die leichteste Sache der Welt. Wie schnell er fiel, wie rasch es vorbei war.
     
    Diesen Teil zu schreiben fällt mir aus irgendeinem Grunde schwer, größtenteils weil das Thema unentwirrbar verbunden ist mit zu vielen Nächten wie dieser (übersäuerter Magen, verschlissene Nerven, die Uhr, die ermüdend langsam von vier auf fünf vorrückt). Es ist auch entmutigend, weil ich erkannt habe, daß alle Versuche einer Analyse weitgehend zwecklos sind. Ich weiß nicht, warum wir es getan haben. Ich bin nicht völlig sicher, daß wir es, wenn die Umstände es erforderten, nicht wieder tun würden. Und wenn es mir in gewisser Weise leid tut, macht das wahrscheinlich keinen großen Unterschied.
    Es tut mir auch leid, daß ich eine so skizzenhafte und enttäuschende Exegese dessen präsentiere, was tatsächlich ja der zentrale Teil meiner Geschichte ist. Ich habe festgestellt, daß selbst die streitbarsten und schamlosesten Mörder seltsam schüchtern werden,
wenn es darum geht, ihre Verbrechen noch einmal zu schildern. Vor ein paar Monaten habe ich in einer Flughafenbuchhandlung die Autobiographie eines berüchtigten Lustmörders gekauft; entmutigt mußte ich feststellen, daß sie völlig frei von grausigen Details war. An den spannendsten Stellen (Regennacht, verlassene Straße, Finger krallen sich um den hübschen Hals des Opfers Nummer vier) wechselte die Geschichte plötzlich – und nicht ohne eine gewisse spröde Zimperlichkeit – zu irgendeiner völlig unzusammenhängenden Angelegenheit (war dem Leser bekannt, daß der Mörder im Gefängnis einem IQ-Test unterzogen wurde?). Der bei weitem größere Teil des Buches widmete sich irgendwelchen altjüngferlichen Diskursen über das Gefängnisleben – das schlechte Essen, die Späße beim Hofgang, die öden kleinen Knastvogelhobbys. Die fünf Dollar waren reine Verschwendung.
    In gewisser Weise aber weiß ich, was mein Kollege empfindet. Nicht, daß alles »schwarz wurde«, nichts dergleichen. Nur, daß das Ereignis selbst nebelhaft ist, weil irgendein primitiver Betäubungseffekt zum Zeitpunkt des Geschehens es verdeckte – derselbe Effekt, nehme ich an, der panische Mütter befähigt, eisige Flüsse zu durchschwimmen oder in brennende Häuser zu stürzen, um ihr Kind zu retten, der Effekt, der es tieftraurigen Menschen gelegentlich ermöglicht, eine Beerdigung ohne eine einzige Träne zu überstehen. Manche Dinge sind so schrecklich, daß man sie nicht sogleich begreifen kann. Andere – nackt, brodelnd, unauslöschlich in ihrer Grauenhaftigkeit – sind so fürchterlich, daß man sie überhaupt nicht begreifen kann. Erst später, wenn man allein ist und sich erinnert, dämmert die Erkenntnis: wenn die Asche kalt ist, wenn die Trauergäste gegangen sind, wenn man sich umsieht und sich – zu seiner großen Überraschung – in einer ganz anderen Welt wiederfindet.
     
    Als wir zum Wagen zurückkamen, hatte es noch nicht angefangen zu schneien, aber der Wald schrumpfte schon unter dem Himmel zusammen, stumm und abwartend, als spüre er bereits das Gewicht des Eises, das auf ihm lasten würde, wenn erst der Abend käme.
    »Gott, seht euch diesen Matsch an«, sagte Francis, als wir wieder durch ein Schlagloch fuhren und braune Suppe schwer gegen die Frontscheibe spritzte.
    Henry schaltete in den ersten herunter.
    Noch ein Schlagloch, eines, das mir die Zähne zusammenschlagen ließ. Als wir herausfahren wollten, heulten die Reifen auf und
schleuderten frische Schlammspritzer hoch, und wir rollten mit einem Ruck zurück. Henry fluchte und legte den Rückwärtsgang ein.
    Francis drehte sein Fenster herunter und reckte den Kopf hinaus, um nachzusehen. »O Jesus«, hörte ich ihn sagen. »Halt an. Wir können unmöglich ...«
    »Wir stecken nicht fest.«
    »Doch. Du machst es bloß noch schlimmer. Herrgott, Henry. Halt doch an ...«
    »Halt die Klappe«, sagte Henry.
    Die Hinterräder jaulten. Die Zwillinge, die rechts und links neben mir saßen, drehten sich um und schauten aus dem Rückenster auf den Schlamm, der hinter uns aufsprühte. Abrupt schaltete Henry in den ersten Gang, und mit einem jähen Satz, der mein Herz erfreute, ließen wir das Loch hinter uns.
    Francis ließ sich auf seinen Sitz zurückfallen. Er war ein vorsichtiger Fahrer, und wenn er bei Henry auf dem Beifahrersitz saß, machte ihn das selbst unter den günstigsten Umständen nervös.
     
    In der Stadt angekommen, fuhren wir zu Francis nach Hause. Die

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