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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Stimme unmittelbar hinter mir.
    »Na, das haut mich aber um«, rief er munter. »Was ist das denn hier? Ein Treffen des Naturkundeclubs?«
    Ich drehte mich um. Es war wirklich Bunny; mit seinen ganzen eins neunzig ragte er hinter mir auf, umhüllt von einem gewaltigen gelben Regenmantel, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte.
    Es war furchtbar still.
    »Hi, Bun«, sagte Camilla matt.
    »Selber hi.« Er hatte eine Flasche Bier dabei – Rolling Rock, komisch, daß ich mich daran erinnere –, und er setzte sie jetzt an und trank in langen, gurgelnden Zügen. »Puh«, sagte er dann. »Ihr schleicht euch in letzter Zeit ja reichlich im Wald rum. Weißt du«, sagte er und stieß mir die Finger in die Rippen, »daß ich versucht hab’, dich zu erreichen?«
    Die jähe, dröhnende Unmittelbarkeit seiner Anwesenheit war zuviel für mich. Ich starrte ihn benommen an, während er wieder trank, während er die Flasche sinken ließ, während er sich mit dem Handrücken den Mund abwischte. Er stand so dicht vor mir, daß ich seinen satten, bierschweren Atem roch.
    »Aah«, sagte er, harkte sich das Haar aus den Augen und rülpste. »Was gibt’s zu berichten, Wildtöter? Ihr hattet auf einmal Lust, hier rauszukommen und die Vegetation zu studieren?«
    Vom Waldrand her hörte man ein Rascheln und ein leises, verlegenes Hüsteln.
    »Na ja, das nicht gerade«, sagte eine coole Stimme.
    Bunny drehte sich erschrocken um – ich auch – und sah, wie Henry aus dem Dunkel hervortrat.
    Er kam heran und musterte Bunny freundlich. Er hielt eine Gartenschaufel in der mit schwarzer Erde beschmierten Hand. »Hallo«, sagte er. »Das ist ja eine Überraschung.«
    Bunny sah ihn an, lange und mit hartem Blick. »Jesus«, sagte er. »Was macht ihr denn da – die Toten begraben?«
    Henry lächelte. »Eigentlich ist es ein glücklicher Zufall, daß du vorbeikommst.«
    »Ist das ’ne Art Kongreß hier?«
    »Nun ja«, sagte Henry nach kurzer Pause liebenswürdig. »Vermutlich könnte man es so nennen.«
    »Könnte man«, sagte Bunny spöttisch.
    Henry biß sich auf die Unterlippe. »Ja«, sagte er ganz ernst. »Könnte man. Allerdings ist es nicht der Terminus, den ich selbst verwenden würde.«
    Es war still. Irgendwo weit weg im Wald hörte ich leise das irre Gelächter eines Spechts.
    »Jetzt sagt mal«, begann Bunny, und ich glaubte einen ernsten Unterton von Argwohn zu entdecken, »was um alles in der Welt macht ihr Typen denn hier draußen?«
    Der Wald schwieg. Man hörte keinen Laut.
    Henry lächelte. »Na, wir suchen nach neuen Farnen«, sagte er und trat einen Schritt auf Bunny zu.

BUCH ZWEI
    Dionysos ist der Meister der Illusion, der einen Weinstock aus einer Schiffsplanke wachsen lassen könnte und seine Anhänger allgemein dazu befähigt, die Welt zu sehen, wie die Welt nicht ist.
    E.R. DODDS
Die Griechen und das Irrationale

SECHSTES KAPITEL
    Nur der Vollständigkeit halber: Ich halte mich nicht für einen schlechten Menschen (obwohl – wie sehr klinge ich damit wie ein Mörder!). Immer wenn ich in der Zeitung etwas über einen Mord lese, bin ich verblüfft über die sture, beinahe rührende Sicherheit, mit der Landstraßenkiller, spritzengeile Kinderärzte, die Verkommenen und Schuldigen aller Couleur, sich außerstande sehen, das Böse in sich selbst zu erkennen – sich sogar genötigt fühlen, eine Art vorgetäuschte Anständigkeit geltend zu machen. »Im Grunde bin ich ein sehr guter Mensch.« (Das vom neuesten Massenmörder - dem der Stuhl sicher ist, heißt es –, der vor kurzem in Texas mit bluttriefender Axt ein halbes Dutzend staatlich geprüfte Krankenschwestern zur Strecke gebracht hat. Ich habe den Fall mit Interesse in der Zeitung verfolgt.)
    Aber wenn ich mich selbst auch nie als besonders guten Menschen betrachtet habe, bringe ich es doch auch nicht über mich zu glauben, ich sei über die Maßen schlecht. Vielleicht ist es einfach unmöglich, sich selbst auf eine solche Weise zu sehen, wofür unser texanischer Freund ein Beleg wäre. Was wir getan haben, war schrecklich; aber trotzdem glaube ich nicht, daß einer von uns wirklich schlecht war. Man mag es in meinem Fall meiner Schwäche zuschreiben, bei Henry der Hybris und einem Übermaß an griechischen Prosaaufsätzen – oder was auch immer es gewesen sein mag.
    Ich weiß es nicht. Ich nehme an, ich hätte mir besser darüber im klaren sein sollen, worauf ich mich da eingelassen hatte. Aber der erste Mord – der Farmer – schien so einfach

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