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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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uns hier hatte absetzen lassen, war, daß er nicht schon wieder in die Brasserie gehen wollte.
    Wir setzten uns ans Ende der Theke vor den Fernseher. Ein Basketballspiel war im Gange. Die Bedienung – ein Frau um die Fünfzig mit türkisfarbenem Lidschatten und einer Unmenge von
dazu passenden Türkisringen – musterte uns, unsere Anzüge und Krawatten. Sie wirkte verblüfft, als Charles zwei doppelte Whiskey und ein Clubsandwich bestellte. »Wie denn das?«« sagte sie; sie hatte eine Stimme wie ein Papagei. »Dürft ihr Jungs jetzt hin und wieder ein Schlückchen nehmen?«
    Ich wußte nicht, wie sie das meinte – ob es eine Anspielung auf unsere Kleidung sein sollte oder auf Hampden College, oder ob sie unsere Ausweise sehen wollte. Charles, der nur einen Augenblick zuvor in Düsternis versunken gewesen war, hob den Kopf und schaute sie mit einem über die Maßen freundlichen und reizenden Lächeln an. Er wußte, wie man mit Kellnerinnen umging. Im Restaurant schwebten sie ständig um ihn herum und versuchten ihm auch ausgefallenste Sonderwünsche zu erfüllen.
    Diese hier schaute ihn an, erfreut und ungläubig, und krähte vor Lachen. »Na, ist das nicht’n Ding«, sagte sie heiser und langte mit einer schwerberingten Hand nach der Silva-Thin, die qualmend neben ihr im Aschenbecher lag. »Und da dachte ich, ihr Mormonenkids dürft nicht mal Coca-Cola trinken.«
    Kaum war sie in die Küche geschlendert, um unsere Bestellung aufzugeben (»Bill!« hörten wir sie hinter der Schwingtür rufen. »Hey, Bill, hör dir das an!«), verschwand Charles’ Lächeln wieder. Er griff nach seinem Glas und zuckte ernst die Achseln, als ich versuchte, ihm in die Augen zu sehen.
    »Sorry«, sagte er. »Es stört dich hoffentlich nicht, daß wir hergekommen sind. Es ist billiger als in der Brasserie, und wir werden niemand begegnen.«
    Er war nicht in redseliger Stimmung – manchmal voller Überschwang, konnte er ebensogut schweigsam und mürrisch wie ein Kind sein –, und er trank stetig. Dabei stützte er beide Ellbogen auf den Tresen, und das Haar fiel ihm in die Stirn. Als sein Sandwich kam, zupfte er es auseinander, aß den Speck und ließ den Rest liegen, während ich meinen Whiskey trank und den Lakers im Fernsehen zuschaute. Es war sonderbar, hier in dieser klammen, dunklen Kneipe in Vermont zu sitzen und ihnen beim Spiel zuzusehen. Zu Hause in Kalifornien, in meinem alten College, hatte es einen Pub namens »Falstaff’s« gegeben, wo sie einen Fernseher mit Breitwandbildschirm hatten; ich hatte einen Kifferfreund namens Carl gehabt, der mich dort immer hineinschleifte, um Eindollarbier zu trinken und Basketball zu gucken. Wahrscheinlich war er jetzt auch da, saß auf seinem Rotholzbarhocker und sah sich genau dieses Spiel an.
    Solche deprimierenden Gedanken sowie andere, ähnliche, gingen mir durch den Kopf, und Charles war bei seinem vierten oder fünften Whiskey, als jemand anfing, mit der Fernbedienung zwischen den Programmen herumzuschalten: »Risiko«, »Glücksrad«, »MacNeil/Lehrer« und dann eine Talkshow im Lokalfernsehen. Sie hieß »Tonight in Vermont«. Das Bühnenbild war einem neuenglischen Farmhaus nachempfunden, mit nachgemachten Shaker-Möbeln und antikem Farmgerät, Mistgabeln und so weiter, die an der Sperrholzkulisse baumelten. Liz Ocavello war die Moderatorin. Wie in den großen berühmten Talkshows konnte auch hier am Ende jeder Sendung das Publikum Fragen stellen, wobei es aber im allgemeinen nicht allzu heiß herging, weil ihre Gäste meistens ziemlich zahm waren – der Staatsbeauftragte für Veteranenangelegenheiten oder Freimaurer, die eine Blutspendeaktion bekanntgaben. (»Wie war noch mal die Adresse, Joe?«)
    Heute abend war ihr Gast – ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich es begriff – William Hundy. Er hatte einen Anzug an – nicht den blauen Freizeitanzug, sondern einen alten, wie ihn etwa ein Landprediger tragen mochte –, und aus einem Grund, den ich nicht sofort verstand, redete er mit einiger Autorität über Araber und die OPEC. »Diese OPEC«, sagte er, »ist der Grund, weshalb wir keine Texaco-Tankstellen mehr haben. Ich weiß noch, als ich ein kleiner Junge war, gab es überall Texaco-Tankstellen, aber diese Araber, na, das war so ein – wie nennt man das? – ein Buyout ...«
    »Guck mal«, sagte ich zu Charles, aber als ich ihn endlich aus seiner Trance aufgerüttelt hatte, hatten sie schon wieder zu »Risiko« zurückgeschaltet.
    »Was denn?« fragte

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