Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
diesen OPEC-Gangstern gesprochen und von diesen krankhaften Typen, die den Jungen gekidnappt haben. Glauben Sie, wir unterstützen hier den Terrorismus? Macht man das in Ihrem Land?«
    »Das ist eine Lüge!« schrie der Araber.
    Die Kamera schwenkte für einen Moment verwirrt zu Liz Ocavello; sie starrte, ohne sich dessen bewußt zu sein, schnurgerade aus dem Bildschirm, und ich wußte, sie dachte genau das gleiche wie ich. 0 Mann, o Mann, jetzt kommt’s ...
    »Das ist keine Lüge«, erwiderte Hundy hitzig. »Ich weiß das. Ich
bin seit dreißig Jahren im Tankstellengeschäft. Glauben Sie, ich weiß nicht mehr, wie ihr uns über den Tisch gezogen habt, als Carter Präsident war, damals, neunzehnhundertfünfundsiebzig? Und jetzt kommt ihr alle hier rüber und tut, als ob euch alles gehörte, mit euern Kichererbsen und euerm dreckigen Fladenbrot!«
    Liz drehte den Kopf zur Seite und bemühte sich, mit lautlosen Mundbewegungen irgendwelche Anweisungen zu geben.
    Der Araber kreischte eine furchtbare Obszönität.
    »Halt! Stop!« schrie Liz Ocavello verzweifelt.
    Mr. Hundy sprang mit loderndem Blick auf und streckte einen bebenden Zeigefinger ins Publikum. »Sandnigger! « brüllte er erbittert. »Sandnigger! Sand ...«
    Die Kamera wurde herumgerissen und schwenkte wild zur Seite, wo neben der Kulisse ein Gewirr von schwarzen Kabeln und beschirmten Scheinwerfern zu sehen war. Das Bild wurde unscharf und wieder scharf, und dann erschien plötzlich ein Werbespot für MacDonald’s.
    »Jooo-huuu!« schrie jemand beifällig.
    Vereinzelt wurde geklatscht.
    »Hast du das gehört?« sagte Charles nach einer Pause.
    Ich hatte ihn ganz vergessen. Er sprach mit schwerer Zunge, und die Haare fielen ihm feucht in die Stirn. »Gib acht«, sagte ich auf griechisch zu ihm. »Sie kann dich hören.«
    Er murmelte etwas und wackelte auf seinem Barhocker aus gepolstertem Glitzervinyl und Chrom.
    »Laß uns gehen«, sagte ich. »Es ist spät.« Ich suchte in meiner Tasche nach Geld.
    Mit schwankendem Blick sah er mir in die Augen, und dann beugte er sich herüber und packte mein Handgelenk. Das Licht der Musikbox spiegelte sich funkelnd in seinen Augen und ließ sie seltsam aussehen, fast irr, wie die leuchtenden Killeraugen, die auf einem Schnappschuß manchmal ganz unerwartet im Gesicht eines Freundes glühen.
    »Halt die Klappe, mein Alter«, sagte er. »Hör doch mal.«
    Ich zog die Hand weg und drehte mich auf meinem Hocker herum, aber in diesem Moment hörte ich ein langes, trockenes Grollen. Es donnerte.
    Wir sahen einander an.
    »Es regnet«, wisperte er.
     
    Die ganze Nacht regnete es; warmer Regen tropfte aus den Dachrinnen und klopfte an meine Fensterscheibe, während ich mit weit offenen Augen flach auf dem Rücken lag und lauschte.
    Die ganze Nacht regnete es, und den ganzen nächsten Vormittag: warm, grau, weich und gleichmäßig wie ein Traum.
     
    Als ich aufwachte, wußte ich, daß sie ihn heute finden würden. Ich wußte es im Bauch, von dem Augenblick an, da ich aus dem Fenster schaute und den Schnee sah, verrottet und pockennarbig, Flecken von schleimigem Gras, und überall Pfützen und Rinnsale von Wasser.
    Es war einer von diesen geheimnisvollen, bedrückenden Tagen, wie wir sie in Hampden manchmal hatten, wenn der Nebel die Berge verschluckte, die am Horizont dräuten, und die Welt hell und leer aussah und irgendwie gefährlich. Wenn man über den Campus ging und das nasse Gras unter den Füßen quietschte und quatschte, kam man sich vor wie auf dem Olymp, in Walhalla, in irgendeinem alten, verlassenen Land über den Wolken, und die bekannten Wegmarken – der Uhrenturm, die Häuser – schwebten herauf wie Erinnerungen aus einem früheren Leben, isoliert und losgelöst im Nebel.
    Nieselregen und Feuchte. Im Commons roch es nach nassen Tüchern, und alles war dunkel und gedämpft. Ich fand Henry und Camilla oben an einem Fenstertisch, einen vollen Aschenbecher zwischen sich. Camilla hatte das Kinn in die Hand gestützt und hielt eine heruntergebrannte Zigarette zwischen tintenfleckigen Fingern.
    Der Hauptspeisesaal lag im ersten Stock, in einem modernen Anbau, der an der Rückseite des Gebäudes über eine Laderampe hinausragte. Große, regennasse Glasscheiben – grau getönt, so daß der Tag noch trister aussah, als er war – umgaben uns an drei Seiten, und wir hatten einen vorzüglichen Blick auf die Laderampe, wo frühmorgens Lastwagen mit Butter und Eiern anrollten, und auf die glänzende schwarze

Weitere Kostenlose Bücher