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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Straße, die sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte und im Nebel in Richtung North Hampden verschwand.
    Zum Mittagessen gab es Tomatensuppe und Kaffee mit fettarmer Milch, weil die normale ausgegangen war. Regen trommelte leise gegen die Scheiben. Henry war zerstreut. Das FBI hatte ihn am vergangenen Abend noch einmal aufgesucht – was sie gewollt hatten, sagte er nicht –, und er redete und redete mit leiser Stimme
über Schliemanns Ilion, und dabei schwebten die Fingerspitzen seiner großen kantigen Hände über der Tischkante wie über einem Ouija-Brett. Als ich im Winter bei ihm gewohnt hatte, da hatte er manchmal stundenlang solche didaktischen Monologe gehalten, hatte mit der langsamen, gebannten Ruhe einer Versuchsperson unter Hypnose einen Strom von pedantisch genauem Wissen abgespult.
    Er sprach von den Ausgrabungen in Hissarlik: »einem schrecklichen Ort, einem verfluchten Ort«, sagte er träumerisch – »Städte über Städte, untereinander begraben, Städte geschleift, Städte verbrannt, daß ihre Ziegel zu Glas schmolzen ... ein furchtbarer Ort«, sagte er geistesabwesend, »ein verfluchter Ort, Nester mit kleinen braunen Nattern von der Art, die die Griechen antelion nannten, Tausende und Abertausende der kleinen eulenköpfigen Totengötter (Göttinnen eigentlich, grausige Vorläuferinnen der Athene), die fanatisch und starr aus den steingehauenen Bildwerken blicken.«
    Ich wußte nicht, wo Francis war, aber nach Charles brauchte ich nicht zu fragen. Am Abend zuvor hatte ich ihn mit einem Taxi nach Hause bringen, ihm die Treppe hinauf und ins Bett helfen müssen, und dort war er, nach dem Zustand zu urteilen, in dem ich ihn verlassen hatte, immer noch. Zwei Sandwiches mit Frischkäse und Marmelade lagen, in Servietten gewickelt, neben Camillas Teller. Sie war nicht da gewesen, als ich Charles nach Hause gebracht hatte, und sie sah aus, als sei sie auch gerade erst aufgestanden, zerzaust und ohne Lippenstift. Sie trug einen grauen Wollpullover, dessen Ärmel ihr bis über die Hände reichten. Der Rauch wehte von ihrer Zigarette in Wölkchen hoch, die die gleiche Farbe hatten wie der Himmel draußen. Ein Auto kam wie ein winziger weißer Punkt aus weiter Ferne singend auf der nassen Straße von der Stadt heran, wand sich durch die schwarzen Kurven und wurde mit jedem Augenblick größer.
    Es war spät. Das Mittagessen war vorüber, und die Leute gingen. Ein verwachsener alter Hausmeister kam mit Mop und Eimer hereingeschlurft und fing an, mit müdem Grunzen drüben am Getränkecenter Wasser auf den Boden zu schütten.
    Camilla starrte aus dem Fenster. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Langsam und ungläubig hob sie den Kopf, und dann sprang sie vom Stuhl auf und reckte sich, um besser zu sehen.
    Ich sah es auch und sprang nach vorn. Ein Krankenwagen hielt unmittelbar unter uns. Zwei Sanitäter, gefolgt von einer Horde Fotografen, trugen mit gesenkten Köpfen und im Eiltempo eine
Trage durch den Regen. Die Gestalt darauf war mit einem Laken zugedeckt, aber bevor sie sie durch die Doppeltür in den Wagen schoben (in einer langen, fließenden Bewegung, wie man ein Brot in den Ofen schiebt) und die Tür zuschlugen, sah ich, daß etwa zwei Handbreit eines gelben Regenmantels über die Kante hingen.
    Henry atmete tief ein. Dann schloß er die Augen, atmete scharf wieder aus und fiel in seinen Stuhl zurück, als habe man ihn erschossen.
     
    Sie hatten Bunny gefunden und, ohne daß wir hier oben etwas gemerkt hätten, in einem Pulk von Fotografen, Helfern und Neugierigen erst einmal hierhergetragen. Und jetzt transportierten sie ihn mit dem Wagen ab.
    Holly Goldsmith, ein achtzehnjähriges Erstsemester aus Taos, New Mexico, hatte mit ihrem Hund, einem Golden Retriever namens Milo, einen Spaziergang zur Schlucht gemacht. »Als man den Campus nicht mehr sehen konnte«, berichtete Holly später, »machte ich Milos Leine los, damit er allein rumlaufen konnte. Das macht er gern ...
    Ich stand also einfach da, am Rande der Schlucht und wartete auf ihn. Er war die Böschung runtergekraxelt und sprang da herum und bellte, ganz wie immer. Ich hatte an dem Tag seinen Tennisball vergessen. Ich dachte, ich hätte ihn in der Manteltasche, aber da hatte ich ihn nicht; also ging ich los und suchte nach Stöcken, die ich für ihn werfen konnte. Als ich zur Kante der Böschung zurückkam, sah ich, daß er irgendwas gepackt hatte und hin- und herschüttelte. Als ich ihn rief, wollte er nicht kommen. Ich

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