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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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kurz an, biß sich auf die Lippe und schaute weg.
    » ... und Blumen«, fuhr Julian fort. »Noch nie haben Sie so viele Blumen gesehen – es waren so viele, daß mir der Verdacht kommen mußte, sie schickte sich mindestens einige davon selbst.« Er lachte. »Na ja. Ich nehme an, es erübrigt sich, zu fragen, wo Camilla heute morgen ist.«
    Ich sah, daß Francis die Augen aufriß. Einen Moment lang war ich selbst erschrocken, bis mir klar wurde, daß er – ganz natürlich – annahm, sie sei im Krankenhaus bei Charles.
    Julian zog die Brauen zusammen. »Was ist los?« fragte er.
    Die absolute Ausdruckslosigkeit der Blicke, mit denen seine Frage beantwortet wurde, ließ ihn lächeln.
    »Es ist nicht gut, in diesen Dingen allzu spartanisch zu sein«, erklärte er nach einer sehr langen Pause freundlich; ich sah dankbar, daß er wie gewöhnlich seine eigene geschmackvolle Deutung in unsere Verwirrung projizierte. »Edmund war Ihr Freund. Auch ich bin sehr traurig über seinen Tod. Aber ich finde, Sie machen sich krank mit Ihrem Schmerz um ihn; das hilft ihm nicht, und es schadet Ihnen. Außerdem – ist der Tod denn wirklich etwas so Schreckliches? Ihnen erscheint er schrecklich, weil Sie jung sind, aber wer kann sagen, ob es ihm jetzt nicht bessergeht als Ihnen? Oder – wenn der Tod eine Reise an einen anderen Ort ist – daß Sie ihn nicht wiedersehen werden?«
    Er schlug sein Buch auf und suchte nach seiner Stelle. »Es geht nicht an, daß man sich vor Dingen fürchtet, von denen man nichts weiß«, sagte er. »Sie sind wie Kinder. Fürchten sich vor der Dunkelheit.«
     
    Francis hatte seinen Wagen nicht dabei; deshalb ließ ich mich nach dem Griechischunterricht von Henry in Charles’ Wohnung fahren. Francis kam mit; er war nervös und gereizt; er rauchte eine Zigarette nach der anderen und ging im Flur auf und ab, während Henry in der Schlafzimmertür stand und zusah, wie ich Charles’ Sachen holte: Ruhig und ausdruckslos verfolgte sein Blick mich mit einer abstrakten Berechnung, die es mir absolut unmöglich machte, mich nach Camilla zu erkundigen – was ich hatte tun wollen, sobald wir allein waren – oder ihn überhaupt nach irgend etwas zu fragen.
    Ich holte das Buch, das Briefpapier, den Bademantel. Bei dem Scotch zögerte ich.
    »Was ist los?« fragte Henry.
    Ich stellte die Flasche wieder in die Schublade und schloß sie.
»Nichts«, sagte ich. Charles würde toben, das wußte ich, und ich würde mir eine gute Ausrede einfallen lassen müssen.
    Henry deutete mit dem Kopf auf die geschlossene Schublade. »Hat er dich gebeten, den mitzubringen?« fragte er.
    Ich hatte keine Lust, Charles’ persönliche Angelegenheiten mit Henry zu erörtern. »Er hat auch um Zigaretten gebeten«, sagte ich. »Aber ich finde nicht, daß er welche haben sollte.«
    Francis war wie ein rastloser Kater draußen auf und ab gegangen. Bei unserem Wortwechsel war er in der Tür stehengeblieben. Jetzt sah ich, daß er Henry einen kurzen, sorgenvollen Blick zuwarf. »Na ja, weißt du ...« begann er zögernd.
    Henry sagte: »Wenn er sie haben will – die Flasche, meine ich –, dann finde ich, du solltest sie ihm lieber bringen.«
    Sein Ton ärgerte mich. »Er ist krank«, sagte ich. »Du hast ihn nicht gesehen. Wenn du glaubst, du tust ihm einen Gefallen, indem  ...«
    »Richard, er hat recht«, schaltete Francis sich nervös ein und tippte Zigarettenasche in die flache Hand. »Wenn man trinkt, kann es manchmal gefährlich sein, allzu plötzlich aufzuhören. Man wird krank davon. Man kann sogar sterben.«
    Ich war schockiert. So schlimm war mir Charles’ Trinkerei nie vorgekommen. Aber ich äußerte mich dazu nicht weiter, sondern sagte nur: »Na, wenn er so übel dran ist, dann ist er im Krankenhaus sehr viel besser aufgehoben, nicht wahr?«
    »Wie meinst du das?« fragte Francis. »Willst du, daß sie ihn in den Entzug sperren? Weißt du, wie das ist? Als meine Mutter damals zum erstenmal mit dem Trinken aufhörte, hat sie fast den Verstand verloren. Hat Sachen gesehen. Hat sich mit der Krankenschwester geprügelt und aus Leibeskräften verrücktes Zeug geschrien.«
    »Ich stelle mir ungern vor, wie Charles im Catamount Memorial Hospital ins Delirium tremens verfällt«, sagte Henry. Er ging zum Nachttisch und nahm die Flasche heraus. Sie war etwas weniger als halb voll. »Er wird Mühe haben, sie zu verstecken«, sagte er und hielt sie am Hals hoch.
    »Wir könnten es in was anderes schütten«, meinte

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