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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Gott, Camilla! Hat Charles das getan?«
    Sie zog den Ärmel wieder herunter. »Siehst du, was ich meine?« sagte sie. Ihre Stimme war emotionslos, ihr Gesichtsausdruck wachsam, beinahe spöttisch.
    »Wie lange geht das schon?«
    Sie ignorierte meine Frage. »Ich kenne Charles«, sagte sie. »Besser als du. Wegzubleiben ist im Moment sehr viel klüger.«
    »Wessen Idee war es, ins Albemarle zu gehen?«
    »Henrys.«
    »Was hat der damit zu tun?«
    Sie antwortete nicht.
    Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr mich. »Er hat das doch nicht getan, oder?«
    Sie sah mich überrascht an. »Nein. Wie kommst du darauf?«
    Die Sonne kam plötzlich hinter einer Regenwolke hervor und durchflutete das Zimmer mit einem prachtvollen Licht, das über die Wände flirrte wie Wasser. Camillas Gesicht erstrahlte in leuchtender Blüte. Einen Augenblick lang war alles – Spiegel, Decke, Fußboden – unscharf konstruiert und gleißend wie in einem Traum. Ich verspürte das wilde, beinahe unwiderstehliche Verlangen, Camilla bei dem mißhandelten Handgelenk zu packen, ihr den Arm auf den Rücken zu drehen, bis sie schrie, sie auf mein Bett zu schleudern: sie zu erwürgen, zu vergewaltigen, ich weiß nicht, was. Aber dann schob die Wolke sich wieder vor die Sonne, und das Leben wich aus allem.
    »Warum bist du hergekommen?« sagte ich.
    »Weil ich dich sehen wollte.«
    »Ich weiß nicht, ob dich interessiert, was ich denke« – ich haßte den Klang meiner Stimme, war außerstande, ihn zu beherrschen; alles, was ich sagte, kam in demselben hochfahrenden, beleidigenden Ton heraus –, »ich weiß nicht, ob dich interessiert, was ich denke, aber ich denke, du machst alles nur noch schlimmer, indem du im Albemarle wohnst.«
    »Und was denkst du , was ich machen sollte?«
    »Warum wohnst du nicht bei Francis?«
    Sie lachte. »Weil Charles den armen Francis zu Tode drangsalieren würde«, sagte sie. »Francis meint es gut. Das weiß ich. Aber gegen Charles kommt er keine fünf Minuten an.«
    »Wenn du ihn fragen würdest, würde er dir Geld geben, damit du woanders hingehen kannst.«
    »Das weiß ich. Er hat es mir angeboten.« Sie holte Zigaretten aus der Tasche; es durchzuckte mich schmerzhaft, als ich sah, daß es Lucky Strikes waren, Henrys Marke.
    »Du könntest das Geld nehmen und wohnen, wo du willst«, sagte ich. »Du brauchst ihm nicht zu sagen, wo.«
    »Francis und ich haben das alles durchgesprochen.« Sie schwieg einen Moment. »Die Sache ist, ich habe Angst vor Charles. Und Charles hat Angst vor Henry. Das ist eigentlich alles.«
    Ich war schockiert über die Kälte, mit der sie das sagte.
    »Das ist es also?« fragte ich.
    »Was meinst du?«
    »Du willst deine eigenen Interessen schützen?«
    »Er hat versucht, mich umzubringen«, sagte sie schlicht. Sie sah mir in die Augen, offen und klar.
    »Und hat Henry nicht auch Angst vor Charles?« fragte ich.
    »Warum sollte er?«
    »Du weißt, warum.«
    Als sie begriffen hatte, was ich meinte, war ich verblüfft, wie eilig sie ihn verteidigte. »Das würde Charles niemals tun«, sagte sie mit kindlicher Hast.
    »Angenommen, er täte es doch. Ginge zur Polizei.«
    »Aber das täte er nicht .«
    »Woher weißt du das?«
    »Und uns alle mit hineinziehen? Sich selbst auch?«
    »Zum jetzigen Zeitpunkt könnte ich mir vorstellen, daß es ihm egal ist.«
    Das hatte ich gesagt, um sie zu verletzen, und zu meiner Freude sah ich, daß es gelungen war. Erschrocken sah sie mich an. »Vielleicht«, sagte sie. »Aber du darfst nicht vergessen, Charles ist jetzt krank . Er ist nicht er selbst.« Sie schwieg. »Ich liebe Charles«, sagte sie dann. »Und ich kenne ihn besser als irgend jemand auf der Welt. Aber er steht unter furchtbarem Druck, und wenn er so trinkt - ich weiß nicht, er wird einfach ein anderer Mensch. Er hört auf niemanden mehr; ich weiß nicht, ob er sich auch nur an die Hälfte dessen, was er tut, erinnert. Deshalb danke ich Gott dafür, daß er im Krankenhaus ist. Wenn er ein, zwei Tage aufhören muß, wird er vielleicht wieder anfangen, klar zu denken.«
    Was würde sie denken, dachte ich, wenn sie wüßte, daß Henry ihm Whiskey schickt?
    »Und du glaubst wirklich, Henry will nur das Beste für Charles?«
    »Natürlich«, sagte sie erschrocken.
    »Und für dich auch?«
    »Sicher. Weshalb sollte er nicht?«
    »Du hast eine Menge Vertrauen zu Henry, nicht wahr?«
    »Er hat mich nie im Stich gelassen.«
    Aus irgendeinem Grund fühlte ich neuerlichen Ärger. »Und Charles?« fragte

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