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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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deutete mit einem Kopfnicken auf den Rücken des Kellners, gerade als der sich umdrehte und uns mit einem unsagbar bösartigen Blick bedachte.
    »Ist Ihnen dieser Tisch recht, Gentlemen? « fragte er.
    »Aber sicher«, sagte Bunny strahlend.
    Der Kellner reichte uns mit affektierter Delikatesse die Speisekarten und stolzierte davon. Ich setzte mich und klappte mit glühendem Gesicht die Weinkarte auf. Bunny machte es sich auf seinem Stuhl bequem, nahm einen Schluck Wasser und sah sich glücklich um. »Das ist ein tolles Lokal«, sagte er.
    »Ja, nett.«
    »Aber nicht das Polo.« Er harkte sich das Haar aus den Augen. »Gehst du da oft hin? Ins Polo, meine ich.«
    »Oft nicht.« Ich hatte noch nie davon gehört, aber das war vielleicht verständlich, denn es war vierhundert Meilen von zu Hause entfernt.
    »Scheint mir so ein Laden zu sein, wo man mit seinem Vater hingeht«, meinte Bunny versonnen. »Gespräche von Mann zu Mann und so’n Zeug. Für meinen Dad ist das die Oak Bar im Plaza. Da ist er mit mir und meinen Brüdern hingegangen, um uns den ersten Drink zu spendieren, als wir achtzehn wurden.«
    Ich bin Einzelkind; die Geschwister anderer Leute interessieren mich. »Brüder?« sagte ich. »Wie viele?«
    »Vier. Teddy, Hugh, Patrick und Brady.« Er lachte. »Es war schrecklich, als Dad mit mir hinging, weil ich der Kleinste bin, und es war eine so große Sache; er redete lauter so’n Zeug wie ›Hier, Sohn, ist dein erster Drink‹ und ›Nicht lange, und du sitzt an meinem Platz‹ und ›Wahrscheinlich bin ich bald tot‹. Die ganze Zeit hatte ich eine Heidenangst. Einen Monat vorher waren mein Kumpel Cloke und ich nämlich für einen Tag von Saint Jerome’s heraufgekommen, um in der Bibliothek für eine Geschichtsarbeit zu recherchieren, und dann hatten wir in der Oak Bar ’ne dicke Rechnung zusammengesoffen und waren abgehauen, ohne zu bezahlen. Du weißt schon, jugendlicher Übermut – aber jetzt war ich wieder da, mit meinem Dad .«
    »Und haben sie dich erkannt?«
    »’türlich«, sagte er grimmig. »Ich wußte es. Aber sie waren ziemlich dezent. Haben nichts gesagt, sondern die alte Rechnung einfach bei meinem Dad drangehängt.«
    Ich versuchte mir die Szene vorzustellen: den betrunkenen alten Vater in Anzug und Weste, wie er seinen Scotch, oder was immer er trank, im Glase kreisen ließ. Und Bunny. Er sah ein bißchen schlaff aus, aber es war die Schlaffheit von Muskeln, die sich in Fleisch verwandelt hatten. Ein großer Junge, einer von denen, die in der High School Football spielten. Und einer von den Söhnen, die sich jeder Vater insgeheim wünscht: groß und gutmütig und nicht so schrecklich helle, sportbegeistert und mit einer Begabung fürs Schulterklopfen und für blöde Witze. »Hat er’s gemerkt?« fragte ich, »Dein Dad?«
    »Nee. Er hatte einen schweren Schwips. Wenn ich der Bartender im Oak Room gewesen wäre, hätte er’s auch nicht gemerkt.«
    Der Kellner kam wieder auf uns zu.
    »Guck mal, da kommt unser Zuckerschnütchen«, sagte Bunny und widmete sich der Speisekarte. »Weißt du schon, was du essen willst?«
     
    »Was ist da eigentlich drin?« fragte ich Bunny und beugte mich vor, um in das Glas zu schauen, das der Kellner ihm gebracht hatte. Es war so groß wie ein kleines Goldfischglas und leuchtend korallenrot, und bunte Strohhalme, Papierschirmchen und Fruchtstücke ragten in irrwitzigen Winkeln daraus hervor.
    Bunny zog einen der Papierschirme heraus und leckte den Stiel ab. »’ne Menge Zeugs. Rum, Preiselbeersaft, Kokosmilch, Triple Sec, Pfirsichlikör, Creme de Menthe, ich weiß nicht, was noch alles. Probier mal, es ist gut.«
    »Nein danke.«
    »Na los.«
    »Schon gut.«
    »Na los .«
    »Nein, vielen Dank, aber ich möchte nicht.«
    »Das erstemal hab ich so was auf Jamaika getrunken, im Sommer vor zwei Jahren«, sagte Bunny und versank in Erinnerungen. »Ein Bartender namens Sam hat es für mich zusammengebraut. ›Wenn du drei davon trinkst, mein Sohn‹, hat er gesagt, ›dann kannst du die Tür nicht mehr finden‹ – und ich schwöre dir, ich konnt’s nicht. Schon mal auf Jamaika gewesen?«
    »Nicht in letzter Zeit, nein.«
    »Wahrscheinlich bist du an Palmen und Kokosnüsse und das ganze Zeugs gewöhnt, in Kalifornien und so weiter. Ich fand es wunderbar. Hab’ mir ’ne pinkfarbene Badehose mit Blumen drauf gekauft. Hab’ versucht, Henry zu überreden, daß er mitkommt, aber er meinte, da gäb’s keine Kultur. Aber ich glaube, das stimmt nicht; die

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