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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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hatten da ein kleines Museum oder so was.«
    »Verstehst du dich mit Henry?«
    »Oh, klar.« Bunny richtete sich auf und lehnte sich zurück. »Wir haben uns ein Zimmer geteilt, in unserem ersten Jahr hier.«
    »Und du magst ihn?«
    »Sicher, sicher. Aber es ist schwer, mit ihm zusammenzuwohnen. Er haßt Lärm, haßt Gesellschaft, haßt Unordnung. Kommt nicht in Frage, daß man ein Mädchen mit aufs Zimmer bringt, um sich noch ein paar Art-Pepper-Platten anzuhören, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich finde ihn irgendwie unhöflich.«
    Bunny zuckte die Achseln. »Das ist nun mal seine Art. Weißt du, sein Verstand funktioniert anders als deiner oder meiner. Er schwebt immer über den Wolken, mit Platon oder so was. Er arbeitet zuviel, nimmt sich zu ernst, studiert Sanskrit und Koptisch und diese anderen verrückten Sprachen. Henry, sag ich zu ihm, wenn du deine Zeit verplempern willst, indem du noch was anderes lernst außer Griechisch – das und gutes Englisch ist alles, was ein Mann braucht , denke ich persönlich –, wieso kaufst du dir dann nicht ein paar Berlitz-Platten und polierst dein Französisch auf. Such dir ein kleines Cancan-Mädchen. Wulle-wuh kuscheh a weck moa und das ganze Zeugs.«
    »Wie viele Sprachen spricht er denn?«
    »Da hab’ ich die Übersicht verloren. Sieben oder acht. Er kann Hieroglyphen lesen.«
    »Wow.«
    Bunny schüttelte liebevoll den Kopf. »Er ist ein Genie, dieser junge. Er könnte Übersetzer bei der UNO werden, wenn er wollte.«
    »Wo kommt er her?«
    »Aus Missouri.«
    Das sagte er mit solcher Pokermiene, daß ich glaubte, er mache einen Witz. Ich lachte.
    Bunny zog amüsiert die Braue hoch. »Was denn? Dachtest du, er ist aus dem Buckingham-Palast oder so was?«
    Ich zuckte die Achseln und lachte immer noch. Henry war so eigentümlich – es war schwer vorstellbar, daß er überhaupt irgendwoher kam.
    »Jawoll«, sagte Bunny. »Aus Missouri ist er. Aus St. Louis wie der alte Tom Eliot. Der Vater ist irgend so’n Baulöwe – und ganz astrein ist er nicht, sagen meine Cousins in St. Lou. Nicht, daß du von Henry auch nur andeutungsweise erfährst, was sein Dad treibt. Tut, als ob er’s nicht wüßte, und es ist ihm sicher auch egal.«
    »Warst du schon mal bei ihm zu Hause?«
    »Soll das ein Witz sein? Er tut so geheimnisvoll, daß man denken könnte, die arbeiten da am Manhattan Project oder so was. Aber seine Mutter hab’ ich mal kennengelernt. Sozusagen per Zufall. Sie kam auf dem Weg nach New York in Hampden vorbei, um ihn zu besuchen, und ich bin ihr über den Weg gelaufen, als sie in Monmouth House im Erdgeschoß rumlief und die Leute fragte, ob sie wüßten, wo sein Zimmer ist.«
    »Wie war sie denn?«
    »Eine hübsche Lady. Dunkelhaarig und blauäugig wie Henry, Nerzmantel, zuviel Lippenstift und so Zeugs, wenn du mich fragst. Noch schrecklich jung. Henry ist ihr einziges Küken, und sie betet ihn an.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme. »Die Familie hat ein Geld, das glaubst du nicht. Millionen und Abermillionen. Altes Geld ist es natürlich nicht, im Gegenteil, aber Kohle ist Kohle, wenn du weißt, was ich meine.« Er zwinkerte mir zu. »Ach, übrigens. Was ich fragen wollte. Wie verdient dein Daddy sich seinen schnöden Mammon?«
    »Im Ölgeschäft«, sagte ich. Das stimmte ja irgendwie.
    Bunnys Mund formte sich zu einem kleinen runden o. »Ihr habt Ölquellen?«
    »Na ja, wir haben eine«, sagte ich bescheiden.
    »Aber das ist ’ne gute?«
    »Das sagen sie wenigstens.«
    »Junge«, sagte Bunny kopfschüttelnd. »Der goldene Westen. Mein Dad ist bloß ein lausiger alter Bankpräsident.«
    Ich fühlte mich genötigt, das Thema – wenn auch ungeschickt – zu wechseln, denn wir nahmen hier Kurs auf tückische Gewässer. »Wenn Henry aus St. Louis ist«, sagte ich, »wie kommt es dann, daß er so klug ist?«
    Es war eine harmlose Frage, aber Bunny zog unverhofft den Kopf zwischen die Schultern. »Henry hatte als kleiner Junge einen schlimmen Unfall«, sagte er. »Wurde von ’nem Auto überfahren oder so was und wäre fast gestorben. Er ging zwei Jahre nicht zur Schule, hatte Hauslehrer und so weiter, aber lange Zeit konnte er nicht viel anderes tun als im Bett liegen und lesen. Ich schätze, er war eins von diesen Kindern, die auf College-Niveau lesen können, wenn sie ungefähr zwei Jahre alt sind.«
    »Von ’nem Auto überfahren?«
    »Ich glaube , das war es. Wüßte nicht, was es sonst gewesen sein könnte. Er spricht nicht gern

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