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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Roland«, sagte ich und ließ alle Hoffnung fahren.
    »Wie läuft er, mein Junge?«
    Er meinte meinen imaginären Wagen. »Prima«, sagte ich.
    »Bei Redeemed Repair gewesen?«
    »Ja.«
    »Zylinderkopfdichtung.«
    »Ja«, sagte ich, und dann fiel mir ein, daß ich ihm etwas von einem Getriebeschaden erzählt hatte. Aber Dr. Roland hatte inzwischen einen Vortrag über Pflege und Funktion der Zylinderkopfdichtung begonnen.
    »Und das«, schloß er, »ist eines der Hauptprobleme bei einem ausländischen Fahrzeug. Sie können eine Menge Öl damit durch den Auspuff jagen. Da kommt eine Dose zur anderen, und das Öl wächst nicht auf Bäumen.«
    Er warf mir einen bedeutsamen Blick zu. »Wer hat Ihnen die Dichtung verkauft?« wollte er wissen.
    »Weiß ich nicht mehr.« Ich schwankte, unerträglich angeödet, wie in Trance, bewegte mich aber doch kaum merklich der Tür entgegen.
    »War es Bud?«
    »Ich glaube.«
    »Oder Bill. Bill Hundy ist gut.«
    »Ich glaube, es war Bud«, sagte ich.
    »Wie fanden Sie die alte Elster?«
    Ich wußte nicht genau, ob er jetzt Bud meinte oder buchstäblich eine alte Elster, oder ob wir jetzt auf das Gebiet der senilen Demenz zusteuerten. Es war manchmal schwer zu glauben, daß Dr. Roland ein ordentlicher Professor am sozialwissenschaftlichen Institut dieses vorzüglichen Colleges sein sollte. Er wirkte eher wie ein schwatzhafter alter Knacker, der im Bus neben einem saß und einem dauernd die Papiere zeigen wollte, die er zusammengefaltet in seiner Brieftasche aufbewahrte.
    Er faßte gerade noch einmal einige Informationen über Zylinderkopfdichtungen, die er mir bereits gegeben hatte, zusammen, während ich auf einen günstigen Augenblick wartete, um mir plötzlich einfallen zu lassen, daß ich zu einer Verabredung zu spät kam, als Dr. Rolands Freund, Dr. Blind, auf seinen Spazierstock gestützt, strahlend herangehumpelt kam. Dr. Blind war ungefähr neunzig Jahre alt und gab seit fünfzig Jahren einen Kurs mit dem Titel »Invariante Sub-Räume«, der sowohl wegen seiner Monotonie und absoluten Unverständlichkeit bekannt war als auch dafür, daß die Abschlußprüfung seit Menschengedenken aus ein und derselben einzelnen Ja-oder-Nein-Frage bestand. Die Frage war
drei Seiten lang, und die Antwort lautete »Ja«. Mehr brauchte man nicht zu wissen, um »Invariante Sub-Räume« zu bestehen.
    Er war, wenn das möglich war, ein noch größerer Windmacher als Dr. Roland. Zusammen waren sie wie eines dieser Superhelden-Duos aus den Comics: unbezwingbar, das unüberwindliche Bündnis der Langeweile und der Konfusion. Mit einer gemurmelten Entschuldigung schlüpfte ich hinaus und überließ die beiden sich selbst und ihren ehrfurchtgebietenden Angelegenheiten.

ZWEITES KAPITEL
    Ich hatte gehofft, es werde kühl sein, wenn ich mit Bunny zu Mittag äße, denn meine beste Jacke war aus kratzigem dunklen Tweed; aber als ich am Samstag aufwachte, war es heiß, und es wurde zunehmend heißer.
    »Wird ’ne Gluthitze geben heute«, sagte der Hausmeister, als ich im Gang an ihm vorbeiging. »Altweibersommer.«
    Es war eine schöne Jacke – irische Wolle, grau mit moosgrünen Flecken; ich hatte sie in San Francisco gekauft und dafür fast jeden Cent ausgegeben, den ich von meinem Sommerferienjob gespart hatte –, aber sie war viel zu schwer für einen warmen, sonnigen Tag. Ich zog sie an und ging ins Bad, um meine Krawatte zurechtzurüclcen.
    Ich war nicht in der Stimmung zum Plaudern, und es war eine unangenehme Überraschung, daß ich Judy Poovey traf, die sich am Waschbecken die Zähne putzte. Judy Poovey wohnte zwei Türen weiter und schien zu glauben, weil sie aus Los Angeles war, hätten wir eine Menge miteinander gemeinsam. Sie schnitt mir auf dem Gang den Weg ab, versuchte mich auf Parties zum Tanzen zu zwingen und hatte mehreren Mädchen erzählt, daß sie mit mir schlafen würde – allerdings in nicht so zartfühlenden Worten. Sie trug ausgeflippte Klamotten und hatte gesträhntes Haar und eine rote Corvette mit einem kalifornischen Nummernschild und dem Kennzeichen JUDY P. Ihre Stimme war laut und schwoll häufig zu einem Kreischen an, das dann durch das Haus hallte wie die Schreie eines furchtbaren tropischen Vogels.
    »Hi, Richard«, sagte sie und spuckte einen Mundvoll Zahnpastaschaum aus. Sie hatte eine abgeschnittene Jeans an, auf die mit einem Magic Marker ein bizarres, wildes Muster gemalt war, und ein elastisches Top, das ihren von intensivem Aerobictraining gestählten Bauch frei

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