Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
drüber.« Er senkte die Stimme. »Hätte fast das Auge verloren dabei; kann auf dem einen auch nicht so gut sehen. Und er hat diesen steifen Gang, er humpelt fast. Nicht, daß es was ausmacht; er ist stark wie ein Ochse. Ich weiß nicht, was er gemacht hat, ob er Gewichte gehoben hat oder was, aber er hat sich jedenfalls wieder aufgebaut. Ein richtiger Teddy Roosevelt, der Hindernisse überwindet und alles. Dafür muß man ihn bewundern.« Wieder strich er sich das Haar zurück und wirkte dem Kellner, um noch einen Drink zu bestellen. »Ich meine, nimm
nur mal jemanden wie Francis. Wenn du mich fragst, der ist genauso clever wie Henry. Kind aus besten Kreisen, tonnenweise Kohle. Aber er hat’s zu leicht gehabt. Er ist faul. Spielt gern. Nach der Schule macht er nichts, aber säuft wie ein Fisch und geht auf Parties. Dagegen Henry .« Er zog eine Augenbraue hoch. »Den könntest du mit ’nem Knüppel nicht von seinen Griechischbüchern wegprügeln – ah, danke sehr, Sir«, sagte er zu dem Kellner, der ihm mit ausgestrecktem Arm ein weiteres Glas seines korallenroten Drinks entgegenhielt. »Willst du auch noch einen Drink?«
»Nein, danke.«
»Na los doch, mein Alter. Geht auf mich.«
»Noch einen Martini, denke ich«, sagte ich zu dem Kellner, der sich bereits abgewandt hatte. Er drehte sich um und funkelte mich an.
»Danke«, sagte ich lahm und wandte den Blick von seinem verhaltenen, haßerfüllten Lächeln ab.
»Weißt du, ich hasse nichts so sehr wie einen aufgeblasenen Schwulen«, sagte Bunny freundlich. »Wenn du mich fragst, ich finde, man sollte sie alle verhaften und auf dem Scheiterhaufen verbrennen.«
Ich habe Männer gekannt, die gegen die Homosexualität wettern, weil sie ihnen Unbehagen bereitet, weil sie vielleicht selbst Neigungen in diese Richtung hegen, und ich habe Männer gekannt, die gegen die Homosexualität wettern, weil sie es ernst meinen. Zuerst hatte ich Bunny der ersten Kategorie zugerechnet. Seine leutselige Studentenbrüderlichkeit war mir völlig fremd und daher suspekt; außerdem studierte er ebenfalls die Klassiker, die zwar sicher harmlos genug sind, in manchen Kreisen aber immer noch hochgezogene Augenbrauen hervorrufen.
Je länger ich Bunny aber zuhörte, desto deutlicher wurde es, daß sein Lachen nicht affektiert und daß er nicht eifrig darauf bedacht war zu gefallen. Statt dessen war da die selige Unbefangenheit eines schrulligen alten Veteranen aus irgendwelchen Kriegen in Übersee – seit Jahren verheiratet, vielfacher Vater –, der dieses Thema grenzenlos widerlich und unterhaltsam zugleich findet.
»Aber dein Freund Francis?« sagte ich.
Vermutlich war ich scheinheilig; vielleicht wollte ich auch bloß sehen, wie er sich da herauswinden würde. Zwar mochte Francis homosexuell sein oder auch nicht – und ebenso gut hätte er nämlich ein notorischer Schürzenjäger sein können –, aber auf jeden Fall gehörte er zu jenem füchsischen, gutgekleideten, blasierten
Typ, der bei jemandem mit Bunnys angeblichem Riecher für solche Sachen einen gewissen Argwohn erwecken würde.
Bunny zog eine Braue hoch. »Das ist Unsinn«, sagte er knapp. »Wer hat dir das erzählt?«
»Niemand. Bloß Judy Poovey«, fügte ich hinzu, als ich sah, daß ihm »niemand« als Antwort nicht genügen würde.
»Na, ich kann mir vorstellen, weshalb die so was sagt, aber heutzutage ist ja jeder hier schwul und da schwul. Aber es gibt auch immer noch so was wie das altmodische Muttersöhnchen. Alles, was Francis braucht, ist ’ne Freundin.« Er blinzelte mich durch kleine, verschrammte Brillengläser an. »Und was ist mit dir?« fragte er eine Idee streitsüchtig.
»Was?«
»Bist du Single? Oder wartet da ein niedlicher kleiner Cheerleader zu Hause auf dich?«
»Na ja, nein«, sagte ich. Ich hatte keine Lust, meine eigenen Mädchenprobleme auseinanderzulegen, vor ihm jedenfalls nicht. Es war mir erst kurz zuvor gelungen, mich aus einer langen, klaustrophobischen Beziehung mit einem Mädchen in Kalifornien herauszuwinden; wir wollen sie Kathy nennen. Ich hatte mich anfangs zu ihr hingezogen gefühlt, weil sie den Anschein von intelligenter, brütender Unzufriedenheit vermittelte, wie ich sie empfand; aber nach etwa einem Monat, in dessen Verlauf sie sich fest an mich geleimt hatte, war mir allmählich und mit leisem Grauen klareworden, daß sie nichts weiter war als eine anspruchslose, vulgärpsychologische Version von Sylvia Plath. Es war wie in einer von diesen tränenreichen,
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