Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
verklemmte Typen wütend werden, dann werden sie wirklich wütend. Wie mein Vater.«
»Ja, vermutlich.« Ich schaute wieder in den Spiegel und zog den Knoten meiner Krawatte zurecht.
»Viel Spaß«, sagte sie beiläufig und ging zur Tür. Dann blieb sie stehen. »Sag mal, wird dir nicht warm in dieser Jacke?«
»Eine andere gute hab’ ich nicht.«
»Willst du mal die anprobieren, die ich hab’?«
Ich drehte mich um und sah sie an. Sie hatte ein High-School-Examen in Kostümdesign und bewahrte deshalb allerlei eigenartige Kleidungsstücke in ihrem Zimmer auf.
Warum nicht, dachte ich, und ging mit ihr mit.
Die Jacke war unerwartet schön – ein altes Brooks-Brothers-Stück aus ungefütterter Seide, elfenbeinfarben mit pfauengrünen Streifen. Sie war ein bißchen weit, paßte aber ganz gut. »Judy«, sagte ich und schaute auf meine Manschetten. »Die ist ja wunderbar. Du hast ganz sicher nichts dagegen?«
»Du kannst sie behalten«, sagte Judy. »Ich hab’ sie aus dem Schrank im Kostümladen geklaut. Ich wollte sie auftrennen und so was wie ’n Mieder draus machen. Aber im Augenblick hab’ ich eh keine Zeit, was damit zu machen. Ich hab’ zuviel zu tun mit den verdammten Kostümen für das beschissene Was Ihr wollt . In drei Wochen ist Premiere, und ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich hab’ in diesem Semester lauter Erstsemester, die für mich arbeiten, und die können eine Nähmaschine nicht von’nem Loch im Boden unterscheiden.«
»Übrigens, tolle Jacke, mein Alter«, sagte Bunny, als wir aus dem Taxi stiegen. »Seide, was?«
»Ja. Hat meinem Großvater gehört.«
Bunny nahm dicht bei der Manschette ein Stück von dem üppigen, gelblichen Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger und rieb es prüfend. »Hübsches Stück«, sagte er wichtigtuerisch. »Allerdings nicht ganz das richtige für diese Jahreszeit.«
»Nicht?«
»Nee. Wir sind hier an der Ostküste, mein Junge. Ich weiß, bei euch da draußen gilt in Kleidungsfragen ein ziemliches laissezfaire, aber hier drüben lassen sie dich nicht das ganze Jahr über in der Badehose herumlaufen. Schwarz und Blau, das ist die Parole. Schwarz und Blau ... Komm, ich halte dir die Tür auf. Weißt du, ich glaube, der Laden wird dir gefallen. Ist nicht gerade die Polo Lounge, aber für Vermont ist es nicht übel, findest du nicht auch?«
Es war ein kleines, schönes Restaurant mit weißen Tischtüchern; runde Erkerfenster blickten auf einen Cottage-Garten hinaus: Hecken und Spalierrosen, ein Steinplattenweg, von Brunnenkresse gesäumt. Die Gäste waren überwiegend mittleren Alters und recht wohlhabend: rotgesichtige Landanwaltstypen, die nach der
Mode von Vermont zu ihren Anzügen Schuhe mit Kreppsohlen trugen, Ladies mit glänzendem Lippenstift und Challisröcken, auf ihre sonnengebräunte, unprätentiöse Art hübsch anzusehen. Ein Ehepaar blickte zu uns herüber, als wir hereinkamen, und mir war sehr bewußt, welchen Eindruck wir machten – zwei gutaussehende Collegestudenten mit reichen Vätern und ohne Sorgen. Die Damen waren zwar fast alle alt genug, um meine Mutter zu sein, aber eine oder zwei waren tatsächlich sehr attraktiv. Ganz nett, wenn du drankommst, dachte ich, und ich stellte mir eine junggebliebene Ehefrau vor, ein großes Haus und nichts zu tun und einen Ehemann, der dauernd geschäftlich unterwegs ist. Gutes Essen, ein bißchen Taschengeld, vielleicht sogar was wirklich Großes, ein Auto zum Beispiel ...
Ein Kellner kam herein. »Sie haben reserviert?«
»Für Corcoran«, sagte Bunny, die Hände in den Taschen, und wippte auf den Absätzen vor und zurück. »Wo steckt Caspar denn heute?«
»Er hat Urlaub. In zwei Wochen ist er wieder da.«
»Na, schön für ihn«, sagte Bunny herzlich.
»Ich werde ihm sagen, daß Sie nach ihm gefragt haben.«
»Ach ja, machen Sie das, ja? Caspar ist ein super Typ«, sagte Bunny zu mir, als wir dem Kellner zum Tisch folgten. »Oberkellner hier. Ein massiger alter Knabe mit Schnurrbart, Österreicher oder so was. Und nicht mal« – er senkte die Stimme zu einem lauten Flüstern –, »nicht mal schwul, falls du das glauben kannst. Homos arbeiten zu gern in Restaurants; hast du das schon mal gemerkt? Ich meine, jede einzelne Schzwuchte l ...«
Ich sah, daß unser Kellner einen steifen Nacken kriegte.
» ... die mir je begegnet ist, ist besessen vom Essen. Ich frage mich, wie das kommt. Vielleicht was Psychologisches? Mir scheint ...«
Ich legte einen Finger an die Lippen und
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