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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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heraus.
    Er sah schrecklich verwahrlost aus. »Was wollt ihr?«
    »Nichts«, sagte Francis leichthin, allerdings erst nach einer kurzen Entsetzenspause von etwa einer Sekunde. »Können wir reinkommen?«
    Charles’ Blick ging zwischen uns beiden hin und her. »Ist jemand bei euch?«
    »Nein«, sagte Francis.
    Er hielt die Tür auf und ließ uns eintreten. Die Jalousien waren heruntergezogen, und die Wohnung stank sauer nach Müll. Als meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah ich einen Wust von schmutzigem Geschirr, Apfelkistchen und Suppendosen auf jeder erdenklichen Fläche. Neben dem Kühlschrank stand in perverser Ordnung eine Reihe leerer Scotchflaschen.
    Ein kleiner Schatten huschte über die Küchentheke und wieselte zwischen schmutzigen Töpfen und leeren Milchkartons hindurch. O Gott, dachte ich, ist das eine Ratte? Aber dann sprang das Tier mit peitschendem Schwanz auf den Boden, und ich sah, daß es eine Katze war. Ihre Augen glühten in der Dunkelheit.
    »Hab’ sie auf einem brachliegenden Grundstück gefunden«, sagte Charles. Sein Atem, merkte ich, roch nicht nach Alkohol, sondern verdächtig nach Pfefferminz. »Sie ist nicht allzu zahm.«
Er schob den Ärmel seines Bademantels hoch und zeigte uns ein verfärbtes, giftig aussehendes Gewirr von Kratzern auf seinem Unterarm.

»Charles«, sagte Francis und klimperte nervös mit seinem Autoschlüssel, »wir sind vorbeigekommen, weil wir aufs Land fahren wollen. Wir dachten, es wäre ganz nett, mal für eine Weile hier rauszukommen. Kommst du mit?«
    Charles’ Augen wurden schmal. Er zog den Ärmel herunter. »Hat Henry euch geschickt?«
    »Du lieber Gott, nein«, sagte Francis überrascht.
    »Bestimmt nicht?«
    »Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen.«
    Charles sah immer noch nicht überzeugt aus.
    »Wir haben nicht mal mit ihm gesprochen«, sagte ich.
    Charles sah mich an. Seine Augen blickten wäßrig und ein bißchen unscharf. »Richard«, sagte er. »Hallo.«
    »Hallo.«
    »Weißt du«, sagte er, »ich hab’ dich immer sehr gemocht.«
    »Ich dich auch.«
    »Du würdest mich nicht hintergehen, oder?«
    »Natürlich nicht.«
    »Denn er«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf Francis, »denn er würde es tun; das weiß ich.«
    Francis klappte den Mund auf und wieder zu. Er sah aus, als habe er einen Schlag ins Gesicht bekommen.
    »Du unterschätzt Francis«, sagte ich in ruhigem und gelassenem Ton zu Charles. Die anderen begingen oft den Fehler, ihm gegenüber methodisch und aggressiv zu argumentieren, wenn er lediglich getröstet werden wollte wie ein Kind. »Francis hat dich sehr gern. Er ist dein Freund. Genau wie ich.«
    »Bist du das?« fragte er.
    »Natürlich.«
    Er zog einen Küchenstuhl heran und ließ sich schwer darauf fallen. Die Katze strich heran und fing an, sich um seine Beine zu schmiegen. »Ich habe Angst«, sagte er heiser. »Ich habe Angst, Henry will mich umbringen.«
    Francis und ich sahen einander an.
    »Warum denn?« fragte Francis. »Warum sollte er das tun?«
    »Weil ich im Weg bin.« Er sah zu uns auf. »Und er würde es machen, wißt ihr«, sagte er. »Für zwei Cents.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf eine kleine, nicht etikettierte Pillenflasche auf
der Theke. »Seht ihr das?« fragte er. »Hat Henry mir gegeben. Vor zwei Tagen.«
    Ich nahm das Fläschchen. Ein Frösteln überlief mich, als ich das Nembutal erkannte, das ich bei den Corcorans für Henry geklaut hatte.
    »Ist mir egal, was es ist«, sagte Charles und strich sich die schmutzigen Haare aus den Augen. »Er sagte, davon könnte ich schlafen. Gott weiß, daß ich so was brauche, aber die nehme ich nicht.«
    Ich reichte Francis das Fläschchen. Er betrachtete es und sah mich dann entsetzt an.
    »Und Kapseln noch dazu«, sagte Charles. »Man kann nie wissen, was er da reingefüllt hat.«
    Aber das wäre gar nicht nötig gewesen; das war das Bösartige daran. Ich erinnerte mich mit flauem Gefühl, wie ich mich bemüht hatte, Henry nachdrücklich klarzumachen, wie gefährlich dieses Medikament in Verbindung mit Alkohol sei.
    Charles fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich habe ihn nachts hier rumschleichen sehen«, sagte er. »Draußen hinter dem Haus. Ich weiß nicht, was er da macht.«
    »Henry ?«
    »Ja. Aber wenn er irgendwas bei mir versucht, wird das der größte Fehler seines Lebens sein.«
     
    Wir hatten weniger Schwierigkeiten als erwartet, ihn zum Auto zu locken. Er war in einer weitschweifigen, paranoiden Stimmung, und

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