Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
unsere Fürsorglichkeit tröstete ihn ein wenig. Mehrmals fragte er, ob Henry wisse, wohin wir führen. »Ihr habt nicht mit ihm geredet, oder?«
»Nein«, versicherten wir ihm, »natürlich nicht.«
Er bestand darauf, die Katze mitzunehmen. Wir mußten uns furchtbar plagen, sie einzufangen – Francis und ich schlichen in der dunklen Küche herum, stießen Geschirr zu Boden und bemühten uns, das Tier hinter dem Wasserboiler in die Ecke zu drängen, während Charles ängstlich dastand und »Na, komm« und »Brave Mieze« und dergleichen sagte. Schließlich packte ich die Katze voller Verzweiflung bei ihrem struppigen schwarzen Hinterteil – sie schlug um sich und bohrte mir die Zähne in den Unterarm –, und zusammen gelang es uns, sie in ein Geschirrtuch zu wickeln, so daß nur noch der Kopf herausschaute, mit vorquellenden Augen, die Ohren fest an den Kopf gepreßt. Das fauchende Mumienbündel
drückten wir Charles in den Arm. »Jetzt halt sie bloß fest«, sagte Francis noch im Auto immer wieder und warf dabei besorgte Blicke in den Rückspiegel. »Paß auf und laß sie nicht abhauen ...«
Aber natürlich haute sie doch ab; sie flog auf den Vordersitz, so daß Francis um ein Haar von der Straße abgekommen wäre. Nachdem sie dann unter Gas- und Bremspedal herumgekrabbelt war – wobei Francis sich fassungslos gleichzeitig bemühte, sie nicht zu berühren und sie mit einem Fußtritt von sich weg zu befördern –, ließ sie sich neben meinen Füßen auf dem Boden nieder, ergab sich einer Durchfallattacke und verfiel dann in eine augenfunkelnde, haarsträubende Trance.
Ich war seit der Woche, in der Bunny gestorben war, nicht mehr bei Francis draußen gewesen. Die Bäume in der Zufahrt standen in vollem Laub, und der Garten war zugewuchert und dunkel. Bienen summten im Flieder. Mr. Hatch, der vielleicht dreißig Schritt weit entfernt den Rasen mähte, nickte und grüßte mit erhobener Hand.
Im Haus war es schattig und kühl. Ein paar der Möbel waren mit Laken zugedeckt, und auf dem Hartholzboden lagen Staubflokken. Wir sperrten die Katze in ein Badezimmer im Obergeschoß, und Charles ging hinunter in die Küche – um sich etwas zu essen zu machen, wie er sagte. Er kam mit einer Schale Erdnüsse und einem doppelten Martini in einem Wasserglas herauf, ging damit in sein Zimmer und schloß die Tür.
In den nächsten sechsunddreißig Stunden bekamen wir ihn kaum zu sehen. Er blieb in seinem Zimmer, aß Erdnüsse und trank, und manchmal schaute er aus dem Fenster wie der alte Pirat in der Schatzinsel. Einmal kam er herunter in die Bibliothek, als Francis und ich Karten spielten, aber unsere Einladung zum Mitspielen lehnte er ab; statt dessen stöberte er lustlos in den Bücherregalen herum und mäanderte schließlich wieder die Treppe hinauf, ohne ein Buch mitzunehmen. Morgens kam er in einem alten Bademantel von Francis herunter, um Kaffee zu trinken; dann saß er am Küchenfenster und schaute düster über den Rasen hinaus, als warte er auf jemanden.
»Was glaubst du, wann er das letztemal gebadet hat?« fragte Francis mich flüsternd.
Er hatte alles Interesse an der Katze verloren. Francis schickte Mr. Hatch los, um Katzenfutter zu kaufen, und jeden Morgen und jeden Abend ging Francis hinauf in das Badezimmer, um das Tier zu füttern (»Hau ab«, hörte ich ihn knurren. »Geh weg von mir, du
Teufel«), und dann kam er mit einer verschmutzten, zusammengeknüllten Zeitung wieder heraus, die er mit ausgestrecktem Arm vor sich hertrug.
Gegen sechs Uhr nachmittags am dritten Tag war Francis oben auf dem Dachboden und suchte nach einem Glas mit alten Münzen, die er, so hatte seine Tante gesagt, behalten durfte, wenn er sie fände, und ich lag unten auf der Couch, trank Eistee und bemühte mich, mir die unregelmäßigen französischen Konjunktive einzuprägen (denn in weniger als einer Woche sollte mein Abschlußexamen sein), als ich in der Küche das Telefon klingeln hörte. Ich ging hin und nahm den Hörer ab.
Es war Henry. »Da seid ihr also«, sagte er.
»Ja.«
Es folgte ein langes, knisterndes Schweigen. Schließlich sagte er: »Kann ich Francis sprechen?«
»Er kann nicht ans Telefon kommen«, sagte ich. »Was gibt’s denn?«
»Ich nehme an, ihr habt Charles da draußen bei euch.«
»Hör mal, Henry«, sagte ich. »Was war das für eine tolle Idee mit den Schlaftabletten, die du Charles gegeben hast?«
Seine Stimme klang scharf und kühl. »Ich weiß nicht, wovon du
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