Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
tatsächlich zu einem großen Haus führte, vor dem ein Schild mit der Aufschrift NACHLASSVERKAUF stand.
Das Haus selbst war prächtig, aber der Nachlaß, der verkauft wurde, war, wie sich zeigte, nichts Besonderes: ein Konzertflügel, bedeckt mit einem Sortiment von Silber und rissigem Glas, eine Standuhr, ein paar Kisten voller Schallplatten, Küchengeräte und Spielsachen, außerdem ein paar von Katzen arg zerkratzte Polstermöbel - alles draußen in der Garage.
Ich blätterte in einem Stapel alter Noten und beobachtete Henry aus dem Augenwinkel. Er stöberte ungerührt in dem Silber, spielte gleichgültig mit einer Hand ein paar Takte aus der »Träumerei« auf dem Flügel, öffnete die Tür der Standuhr und warf einen Blick auf das Werk, plauderte eine ganze Weile mit der Nichte des Hauseigentümers, die gerade von dem großen Haus herübergekommen war, über die beste Zeit zum Einpflanzen von Tulpenzwiebeln. Nachdem ich die Noten zweimal durchgeblättert hatte, ging ich hinüber zu den Glassachen und dann zu den Schallplatten. Henry kaufte eine Gartenhacke für fünfundzwanzig Cent.
Später machten wir bei einen Imbiß am Rande von Hampden halt. So früh am Abend war es hier buchstäblich menschenleer. Henry bestellte eine gewaltige Mahlzeit – Erbsensuppe, Roastbeef, einen Salat, Stampfkartoffeln mit Sauce, Kaffee, Kuchen – und verzehrte das Ganze schweigend mit sehr viel methodischem Genuß. Ich stocherte planlos in meinem Omelett herum und hatte große Mühe, ihn beim Essen nicht dauernd anzusehen. Ich kam mir vor wie im Speisewagen eines Zuges, wo der Kellner mich zu einem freundlichen Fremden gesetzt hatte, der vielleicht nicht einmal meine Sprache sprach, sich aber trotzdem damit zufriedengab, mit mir zusammen zu Abend zu essen, und dabei eine Art gelassener Ergebenheit an den Tag legte, als kenne er mich schon sein ganzes Leben lang.
Als er fertig war, holte er seine Zigaretten aus der Hemdtasche (er rauchte Lucky Strike; immer, wenn ich an ihn denke, denke ich auch an dieses kleine rote Ochsenauge über seinem Herzen) und bot mir eine an; er klopfte zwei, drei Zigaretten aus der Packung und zog die Braue hoch. Ich schüttelte den Kopf.
Er rauchte eine und dann noch eine, und bei der zweiten Tasse Kaffee blickte er auf. »Warum bist du so still heute nachmittag?«
Ich zuckte die Achseln.
»Möchtest du wissen, was es mit unserer Reise nach Argentinien auf sich hat?«
Ich stellte meine Tasse auf die Untertasse und starrte ihn an. Dann fing ich an zu lachen.
»Ja«, sagte ich. »Ja , das möchte ich allerdings. Erzähl!«
»Fragst du dich nicht, woher ich das weiß? Daß du es weißt, meine ich?«
Darauf war ich nicht gekommen, und vermutlich sah er es mir am Gesicht an, denn jetzt mußte er selbst lachen. »Das ist kein Geheimnis«, sagte er. »Als ich anrief, um die Reservierung abzusagen - das wollten sie natürlich nicht machen, weil die Tickets ja nicht erstattungsfähig waren und so weiter, aber ich glaube, das haben wir jetzt geklärt –, jedenfalls, als ich die Airline anrief, waren sie ziemlich überrascht; sie sagten, ich hätte doch erst einen Tag vorher angerufen, um die Reservierungen zu bestätigen.«
»Und woher wußtest du, daß ich das war?«
»Wer sollte es denn sonst gewesen sein? Du hattest den Schlüssel. Ich weiß, ich weiß«, sagte er, als ich ihn unterbrechen wollte, »ich habe dir den Schlüssel absichtlich dagelassen. Es hätte alles vereinfacht, aus verschiedenen Gründen, aber durch einen reinen
Zufall kamst du eben exakt zum falschen Zeitpunkt. Ich hatte die Wohnung nur für ein paar Stunden verlassen, weißt du, und ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß du zwischen Mitternacht und sieben Uhr früh dort aufkreuzen könntest. Ich kann dich nur um ein paar Minuten verpaßt haben. Wärest du nur eine Stunde später gekommen, wäre alles weg gewesen.«
Er nahm einen Schluck Kaffee. Ich hatte so viele Fragen, daß es sinnlos war zu versuchen, sie in irgendeine vernünftige Reihenfolge zu bringen. »Wieso hast du mir den Schlüssel gelassen?« fragte ich schließlich.
Henry zuckte die Achseln. »Weil ich ziemlich sicher war, daß du ihn nicht benutzen würdest, wenn es nicht unbedingt sein müßte«, sagte er. »Wenn wir tatsächlich geflogen wären, dann hätte irgendwann jemand der Hauswirtin die Wohnung aufschließen müssen, und ich hätte dir Anweisungen geschickt, mit wem du Kontakt aufnehmen und was du mit den Sachen anfangen solltest, die
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