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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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machte er am Hauskühlschrank halt und schaute hinein; er beugte sich vor und spähte kurzsichtig auf den Inhalt. »Irgendwas davon deins, alter Schluckspecht?« fragte er.
    »Nein.«
    Er langte hinein und zog einen gefrorenen Käsekuchen heraus. An der Schachtel war mit Klebestreifen eine jämmerliche Notiz befestigt. »Bitte nicht klauen. Ich bekomme Beihilfe. Jenny Drexler.«
    »Der käme mir jetzt gerade recht«, sagte er und warf einen raschen Blick durch den Flur. »Jemand in der Nähe?«
    »Nein.«
    Er schob sich den Karton unter den Mantel und ging pfeifend voraus zu meinem Zimmer. Drinnen nahm er den Kaugummi aus dem Mund und klebte ihn mit einer flinken, verstohlenen Bewegung an den Innenrand meines Mülleimers, als hoffte er, daß ich es nicht sah. Dann setzte er sich und machte sich mit einem Löffel, den er auf meiner Kommode gefunden hatte, über den Käsekuchen her, ohne ihn erst aus dem Karton zu nehmen. »Puh«, sagte er, »der schmeckt ja scheußlich. Willst du auch was?«
    »Nein, danke.«
    Er leckte versonnen den Löffel ab. »Zuviel Zitrone, das ist das
Problem. Und nicht genug Frischkäse.« Er schwieg – und dachte, vermutete ich, über diesen Mangel nach –, und dann sagte er abrupt: »Erzähl mal. Du und Henry, ihr habt letzten Monat ziemlich viel Zeit zusammen verbracht, was?«
    Ich war plötzlich auf der Hut. »Vermutlich.«
    »Viel geplaudert?«
    »Ein bißchen.«
    »Hat er viel von Rom erzählt?« Er sah mich scharf an.
    »Nicht besonders viel.«
    »Was von seiner vorzeitigen Abreise gesagt?«
    Endlich, dachte ich. Endlich würden wir der Sache auf den Grund gehen. »Nein. Nein, er hat mir überhaupt nicht viel erzählt«, sagte ich, und das war die Wahrheit. »Ich wußte, daß er vorzeitig abgereist war, als er hier auftauchte. Aber ich wußte nicht, daß du nicht mitgekommen warst. Schließlich habe ich ihn abends mal nach dir gefragt, und da sagte er, daß du noch dort wärest. Das ist alles.«
    Bunny nahm gelangweit einen Bissen Käsekuchen. »Hat er gesagt, warum er abgereist ist?«
    »Nein.« Als Bunny nicht reagierte, fügte ich hinzu: »Es hatte aber etwas mit Geld zu tun, nicht wahr?«
    »Hat er dir das erzählt?«
    »Nein.« Er schien wieder die Sprache verloren zu haben, und ich fuhr fort: »Er hat allerdings gesagt, du wärest knapp bei Kasse gewesen, und er hätte Miete und so was bezahlen müssen. Stimmt das?«
    Bunny winkte mit vollem Mund ab.
    »Dieser Henry«, sagte er. »Ich liebe ihn, und du liebst ihn auch – aber unter uns gesagt: Ich glaube, er hat ein bißchen jüdisches Blut.«
    »Was?« Ich war verblüfft.
    Er hatte gerade wieder einen großen Bissen Käsekuchen in den Mund gestopft und brauchte eine Weile, ehe er mir antworten konnte.
    »Ich habe noch nie jemanden so viel darüber klagen hören, daß er einem Kumpel aushelfen muß«, meinte er schließlich. »Ich sag dir, was dahintersteckt. Er hat Angst, daß man ihn ausnutzen könnte.«
    »Wie meinst du das?«
    Er schluckte. »Ich meine, wahrscheinlich hat ihm, als er klein war, jemand gesagt: ›Junge, du hast ’ne Menge Geld, und eines
Tages werden die Leute versuchen, es dir aus den Rippen zu leiern. ‹« Das Haar war ihm über ein Auge gefallen, und wie ein alter Seebär blinzelte er mich aus dem anderen pfiffig an. »Das ist keine Frage des Geldes, weißt du«, meinte er. »Er braucht es nicht selbst. Es geht ums Prinzip. Er will sicher sein, verstehst du, daß man ihn nicht seines Geldes wegen mag, sondern um seiner selbst willen.«
    Ich hörte diese Exegese mit einiger Überraschung; sie stand im Gegensatz zu der – nach meinen Maßstäben gerechnet – extravaganten Großzügigkeit, die Henry an den Tag legte.
    »Es geht also nicht um Geld?« fragte ich schließlich.
    »Nein.«
    »Worum dann – wenn du erlaubst, daß ich frage?«
    Bunny beugte sich vor, und sein Gesicht war nachdenklich und für einen Augenblick von beinahe durchscheinender Offenheit; als er den Mund wieder aufmachte, glaubte ich schon, er werde jetzt frei heraus sagen, was er eigentlich meinte, aber statt dessen räusperte er sich und fragte, ob ich wohl was dagegen hätte, ihm eine Kanne Kaffee zu machen?
     
    Ich erwartete den Griechischunterricht am Montag mit schmerzhafter Neugier. Am Morgen wachte ich schon um sechs Uhr auf. Weil ich nicht viel zu früh auftauchen wollte, saß ich eine ganze Weile angezogen in meinem Zimmer herum, und als ich schließlich auf die Uhr schaute, sah ich mit einem Kribbeln, daß ich mich

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