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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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ich zurückgelassen hatte – aber diesen verdammten Liddell and Scott, den hatte ich vergessen. Na gut, so will ich es nicht sagen; ich wußte wohl, daß du ihn dagelassen hattest, aber ich hatte es eilig, und irgendwie hätte ich nie gedacht, daß du sozusagen bei Nacht und Nebel kommst, um ihn zu holen. Aber das war dumm von mir. Du schläfst genauso schlecht wie ich.«
    »Laß mich eines klarstellen. Ihr seid überhaupt nicht nach Argentinien geflogen?«
    Henry schnaubte und winkte nach der Rechnung. »Natürlich nicht«, sagte er. »Wäre ich sonst hier?«
    Als er bezahlt hatte, fragte er, ob ich Lust hätte, mit zu Francis zu fahren. »Ich glaube, er ist nicht da«, sagte er.
    »Warum sollten wir dann hinfahren?«
    »Weil meine Wohnung in einem heillosen Zustand ist und ich bei ihm wohne, bis ich jemanden finde, der saubermacht. Kennst du zufällig einen guten Hausmädchenservice? Francis sagt, als er das letztemal jemanden von der Arbeitsvermittlung in der Stadt da hatte, da hat sie ihm zwei Flaschen Wein und fünfzig Dollar aus der Kommodenschublade gestohlen.«
     
    Auf der Fahrt nach North Hampden konnte ich mich nur mit Mühe beherrschen; am liebsten hätte ich Henry mit Fragen überschwemmt, aber ich hielt den Mund, bis wir da waren.
    »Er ist nicht da; da bin ich sicher«, sagte er, als er die Haustür aufschloß.
    »Wo ist er denn?«
    »Mit Bunny unterwegs. Er ist mit ihm zum Essen nach Manchester gefahren – und dann, glaube ich, sind sie in einen Film gegangen, den Bunny sehen wollte. Möchtest du Kaffee?«
    Francis’ Apartment lag in einem häßlichen Gebäude aus den siebziger Jahren, das dem College gehörte. Es war geräumiger und wirkte privater als die alten Häuser mit den Eichenholzdielen, die wir auf dem Campus bewohnten, und infolgedessen waren die Wohnungen hier sehr begehrt; ein Nachteil waren die Linoleumfußböden, die schlechtbeleuchteten Korridore und die moderne Einrichtung, die aussah wie im Holiday Inn. Francis schien es nicht weiter zu stören. Er hatte eigene Möbel aus dem Landhaus hier, aber die Auswahl war nachlässig, und so war ein grausiges Stilgemisch aus Polstern und hellen und dunklen Hölzern zusammengekommen.
    Eine kurze Suche ergab, daß Francis weder Kaffee noch Tee hatte. (»Er muß mal einkaufen gehen«, bemerkte Henry und spähte über meine Schulter hinweg in einen weiteren leeren Schrank.) Wir fanden nur ein paar Flaschen Scotch und etwas Vichy-Wasser. Ich besorgte Eis und zwei Gläser, und wir gingen mit einer Flasche »Famous Grouse« in das halbdunkle Wohnzimmer. Unsere Schuhe klickten über die gespenstische Wildnis des weißen Linoleums.
    »Ihr seid also nicht geflogen«, stellte ich fest, als wir saßen und Henry uns eingeschenkt hatte.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Henry seufzte und griff in die Brusttasche, um seine Zigaretten herauszuholen. »Geld«, sagte er, während das Streichholz im Zwielicht hell aufflackerte. »Ich habe kein Vermögen wie Francis, weißt du; ich bekomme nur monatliche Zahlungen. Sehr viel mehr, als ich normalerweise zum Leben brauche; seit Jahren lasse ich das meiste auf einem Sparkonto. Aber Bunny hat es praktisch abgeräumt. Unter keinen Umständen könnte ich mehr als dreißigtausend Dollar auftreiben, selbst wenn ich mein Auto verkaufen würde.«
    »Dreißigtausend Dollar sind eine Menge Geld.«
    »Ja.«
    »Wieso braucht ihr so viel?«
    Henry blies einen Rauchring halb in den gelblichen Lichtkreis unter der Lampe, halb in die Dunkelheit. »Weil wir nicht zurückkommen wollten«, sagte er. »Keiner von uns hat eine Arbeitserlaubnis.
Was immer wir mitnähmen, müßte für uns für lange Zeit reichen. Übrigens«, fuhr er fort und hob die Stimme, als hätte ich versucht, ihn zu unterbrechen – was ich aber nicht getan hatte; ich hatte nur einen unartikulierten Laut der Verblüffung von mir gegeben, »übrigens war Buenos Aires nicht unser Ziel. Es war nur eine Zwischenstation auf dem Weg.«
    »Was ?«
    »Wenn wir das Geld gehabt hätten, wären wir vermutlich erst nach Paris oder nach London geflogen, zu irgendeiner internationalen Verkehrsdrehscheibe, und von dort weiter nach Amsterdam und schließlich nach Südamerika. Auf diese Weise wären wir schwieriger aufzuspüren gewesen, weißt du. Aber so viel Geld hatten wir nicht; die Alternative bestand darin, nach Argentinien zu fliegen und von dort auf einem Umweg nach Uruguay zu kommen - einer gefährlichen und instabilen Gegend an sich, meiner Meinung nach, aber für

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