Die geheime Reise
sehen wollen. Richtig?«
Wanja konnte nur nicken.
»Was …« Mischa fing an zu schreien. »Was soll dann diese Scheiße mit dem Vogel? Will ich den sehen? Nein! Nein, verdammt. Du etwa? Willst du ihn sehen?«
Wanja schüttelte stumm den Kopf.
Der Alte legte das Messer zur Seite. Schwerfällig stand er auf, das Brett mit den grünen Kräutern in der faltigen Hand. Er schob Mischa aus dem Weg und schlurfte auf den Kessel zu, von wo er sich noch einmal zu den beiden umdrehte. »Der Vogel ist das Gegenteil. Und das Gegenteil gehört immer dazu. Genau wie Taro ist der Vogel da um euretwillen. Eure Angst und eure Wut geben dem Vogel seine Macht.«
»Ach ja?« Mischa trommelte mit der Faust auf den Tisch, dass es krachte. »Jetzt willst du auch noch sagen, dass es unsere Schuld ist, he?! Ich glaub, ich SPINNNE!«
Der Alte sah Mischa ruhig an. »Schuld ist ein schweres Wort, mein Sohn, und hier gewiss nicht am rechten Platz.«
Mit diesen Worten drehte er sich zum Herd, ohne die beiden weiter zu beachten. Nach einer Weile verließen Wanja und Mischa den Wagen.
Auf der Weide, an der sie auf ihrem Rückweg vorbeikamen, stand Sandesh. Weiß, mit schwarzen Flecken. Das Pferd hatte keine Farben, die es verlieren konnte. Und dieses Mal war Sandesh nicht vor dem Vogel geflohen.
Wanja und Mischa gingen zurück zu Taros Wohnwagen. Die anderen Artisten nahmen sie stumm in ihrer Mitte auf. Wanja vermied es, den Vogel anzuschauen. Aber sein Geruch erfüllte die ganze Luft. Ein scharfer, beißender Geruch.
Stunden schlichen dahin. Gata stand vor Pati Tatü, er hatte seine Arme um sie gelegt, ihr Kopf lehnte an seine Schulter. Neben ihnen stand Sulana, sie wippte auf ihren nackten Füßen. O lehnte an einem Baum. Noaeh und Perun hockten auf dem Boden, Perun malte mit einem dünnen Ast kleine Kreise in den Boden, während Noaeh unverwandt zum Wagen starrte. Direkt hinter ihnen stand Baba, der Turban hing ihm schief auf der Stirn und der kleine Mann hob die kurzen Arme, ließ sie wieder sinken, hob sie wieder. Reimundo murmelte etwas vor sich her. Madame Nui saß im Schneidersitz, schwarz und dürr, mit dem Rücken zum Wagen, neben ihr knieten Thrym und Thyra. Manchmal öffnete Thyra den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Plötzlich kamen Wanja die Artisten vor wie Spielzeugfiguren, die neu aufgezogen werden müssten, um ihre mechanischen, immer gleichen Bewegungen weiter ausüben zu können.
Aus dem Wohnwagen drang kein Laut.
»Wir müssen etwas tun!« Mischas Stimme gellte durch die Stille. »Wir müssen irgendetwas gegen diesen Vogel tun.«
Wieder war es Perun, der als Erster in Bewegung kam. Er schleuderte den Stock von sich, stürzte auf die Zwillinge zu, griff nach Thryms Arm und zog ihn mit sich fort. Thyra und Mischa stolperten hinter ihnen her. Als sie wiederkamen, schleppten sie Steine und legten sie vor den Wagen.
Jetzt regten sich auch die anderen.
»Werft«, rief Baba. »Oh, nun werft schon. Zerschmettert die Bestie, in tausend Stücke!«
Perun warf den ersten Stein, einen schweren schwarzen Brocken, den er mit einem wütenden Keuchen von sich stieß. Doch er traf nur den oberen Teil des Wagens. Der Vogel neigte den Kopf und Wanja war es, als grinse er.
Thyra warf den zweiten Stein. Er hätte getroffen, wenn der Vogel nicht im letzten Moment ein Stück nach oben geflogen wäre. Mit einem Krächzen, metallisch und hart, landete er wieder auf seinem Platz.
Den dritten Stein warf Thrym. Der Vogel flog zur Seite, aber der Stein traf ihn an der Brust. Der Vogel taumelte, schlug mit den Flügeln – und fiel nach hinten.
Noaeh stöhnte auf. Gata schluchzte. Baba jubelte. Und Mischa stürzte auf den Wagen zu, gefolgt von Perun.
Wanja umklammerte Gatas Hand. Die Sekunden, die jetzt vergingen, waren länger als die Stunden davor.
Da.
Da kamen sie.
Perun und Mischa, in ihrer Mitte Taro. Seine Arme baumelten schlaff über den Schultern der beiden. Sein Kopf hing auf der Brust. Aber er atmete. Schwindelig vor Erleichterung, ließ Wanja Gatas Hand los und machte einen Satz auf ihn zu. In diesem Augenblick ertönte ein sperriger, hoher Laut. Er war aus Sulanas Kehle gekommen.
Und dann kam der Vogel. Er war nicht mehr groß wie ein Mensch. Er war groß wie ein Riese. Mit einem Kreischen erhob er sich hinter dem Wagen und schwebte für einen grausamen Moment bewegungslos in der Luft, die Flügel gespreizt, den Schnabel aufgerissen. Ein gigantisches schwarzes Ungeheuer.
Wanja schlug die Hände vors Gesicht und presste sie so feste gegen ihre
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