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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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weitem an einen hellen Riesenlegostein. Zwischen den beiden Gebäuden befand sich ein großer Platz, den Jugendliche zum Skateboardfahren nutzten. An den Wochentagen war es hier meistens leer, aber an Sonn- und Feiertagen war immer viel los.
    Als Wanja die lange Schlange vor der Kasse sah, stöhnte sie auf. »Das dauert ja ewig.«
    »In ein paar Minuten sind wir dran«, tröstete Flora und deutete grinsend auf einen etwa zweijährigen Jungen, der sich zielstrebig auf eine alte Badewanne zubewegte. Seitlich gekippt lag sie in der Eingangshalle, vor ihr – stellvertretend für einen Fußabtreter – war eine aufgeschlagene Tageszeitung ausgebreitet, darauf stand ein pinkfarbener Plastikeimer.
    »HAAALT!« Der kleine Junge, der gerade versuchen wollte in die Wanne zu steigen, wurde im letzten Moment von einer drallen Aufseherin mit hochtoupierter Turmfrisur zurückgerissen. 
    »Um Himmels willen, das ist  Kunst !«, kreischte sie, worauf sie der Kleine mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Im nächsten Moment fing er aus voller Kehle zu schreien an und vor Wanja drehte sich erschrocken eine junge Frau um. 
    »Fabian!« Sie lief auf den Kleinen zu, nahm ihn auf den Arm und machte eine entschuldigende Geste.
    »Das ist kein Spielplatz«, schimpfte die turmhaarige Aufseherin, »sondern eine Kunsthalle! Jan Boisen bringt mich um, wenn hier kleine Kinder in seinem Lebenswerk herumklettern!«
    Wanja musste lachen, während es in Jos Augen gefährlich funkelte. »Das kann ja wohl …«, setzte sie mit lauter Stimme an, aber Flora legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Lass die alte Schachtel, das hat doch eh keinen Zweck, sich über so was aufzuregen.«
    Jo wollte wütend etwas erwidern, aber Wanja drängte sie nach vorne zur Kasse. »Los, Jo, wir sind dran!« Als sich Wanja hinter Jo und Flora durch die Eingangstür schob, konnte sie es kaum noch aushalten.
    »Wir treffen uns dann später, okay?«, sagte sie und wollte sich gerade aus dem Staub machen, als Flora ihre Hand festhielt. »Warte mal, ich komm noch mit und sag dir was zu den Bildern.«
    Wanja warf einen verzweifelten Blick auf ihre Armbanduhr. »Nee, lass mal«, wehrte sie ab und versuchte ihrer Stimme einen möglichst ruhigen Klang zu geben. »Wir sollen uns die Bilder allein anschauen, verstehst du? Ich komm dann später zu eurer Abteilung nach.«
    Flora sah sie aus ihren klaren Augen an und nickte. »Eine gute Idee. Dann kannst du mir ja erzählen, was du empfunden hast. Konzentrier dich auf die Bilder, die dir besonders gefallen, das ist leichter, als wenn du versuchst sie alle in dich aufzunehmen.«
    Mit einem kurzen Kopfnicken machte sich Wanja los und rannte die lange Treppe hinauf, die zur Abteilung »Alte Meister« führte. Die lag im rechten Teil des Museums und war in verschiedene Räume unterteilt.
    Als Wanja durch die große Tür in den ersten Raum trat, war es eine Minute vor drei. Mit klopfendem Herzen sah sie sich um. Wo zum Teufel sollte sie hier eine rote Tür finden? Die türlosen Rahmen waren alle braun – und das einzig Rote in diesem ganzen Raum waren die Gewänder der Figuren auf den Heiligenbildern.
    Die Abteilung war gut besucht und Wanja fiel auf, dass außer ihr noch weitere Jugendliche ohne Eltern unterwegs waren. Genau wie sie selbst schienen sich auch die anderen suchend umzusehen.
    Nervös drängte sich Wanja an einer Reisegruppe vorbei, der ein Museumsführer mit sächsischem Dialekt gerade die Farbkomposition eines Jesusbildes erklärte. Dabei stieß sie fast an einen dicken Mann mit kurzen Hosen und knielangen Tennisstrümpfen. Er stand am Rand der Gruppe und hielt ein kleines, ebenso dickes Mädchen an der Hand.
    Der nächste Raum war leerer. Ein schlaksiger Junge mit Segelohren witschte an Wanja vorbei, drei Japanerinnen tippelten über den grauen Linoleumboden und vor einem riesigen Engelsgemälde stand Arm in Arm ein Liebespaar.

    Eine rote Tür gab es nicht.
    Auch nicht im vorletzten Raum, in dem das Gemälde von Fragonard hing. Wanja kannte es gut, denn ihr Großvater hatte einen Druck davon in seinem Arbeitszimmer gehabt. Das Bild zeigte einen alten Philosophen mit weißem Haar, dessen rechte Hand eine Stuhllehne umklammerte, während sich sein linker Arm auf einen Stapel Papiere stützte. Die Augen des Greises waren gänzlich in das dicke Buch vertieft, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und Wanja fiel ein, dass sie sich früher oft gefragt hatte, was für geheimnisvollen Weisheiten der

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