Die geheime Reise
geschlossen hielt, als lausche er ihnen nach.
O sprach zu Mischa und meinte Taro. In Os Stimme klang weder Bewunderung noch Neid und Taro nahm die Worte hin, ohne bescheiden abzuwinken oder sich dafür zu bedanken.
Wanja sah, wie Mischa nickte – und dann ertönte der Gong.
Er kam aus dem Nichts, ein lauter, eindeutiger Schlag, dessen Echo die unsichtbaren Berge hallend zurückwarfen. Tief in Wanja vibrierte es und gleichzeitig nahm sie einen seltsamen Vorgang in ihrem Inneren wahr. Ein Kribbeln, kaum merklich, aber ähnlich dem Gefühl, das sie in der Küche gehabt hatte, als sie in Jos Zeitung die Einladung entdeckte. Auch die Sehnsucht stieg wieder in ihr auf. Aber wem galt sie diesmal?
»Ihr müsst gehen!« Baba war jetzt ebenfalls von seinem Stuhl aufgesprungen und sah Taro aufgeregt an. »Sie dürfen nicht zu spät kommen, hat Amon gesagt.«
Taro nickte. Ruhig erhob er sich und führte Wanja und Mischa zurück zur Manege.
Inmitten der leeren Plätze, über der Ehrenloge, in der die beiden noch vor kurzer Zeit gesessen hatten, leuchtete ihnen der rote Rahmen entgegen. Es gongte zum zweiten Mal und wieder berührte der Ton Wanja auch von innen her. Ihr Herz fing an zu rasen. Sie klammerte sich an Taros Hand und in ihr brannte plötzlich nur noch eine einzige Frage. »Werden wir dich wieder sehen?«
Auch Mischa sah besorgt zu Taro. Der nickte ihnen beruhigend zu. »Aber jetzt müsst ihr gehen.«
Wanja ging auf den Rahmen zu. »Was müssen wir denn tun?«, fragte sie.
»Das Innere berühren«, sagte Taro.
Wanja musterte ihn stirnrunzelnd. »Woher weißt du das?«
»Es wurde mir gesagt«, entgegnete Taro.
»Von wem?«, fragte Wanja.
Taro schob sie lächelnd zum Rahmen. »Es wird Zeit«, sagte er.
Er löste sich aus Wanjas Griff, legte ihr und Mischa noch einmal die Hand auf die Schultern und verließ die Manege. Wanja stieß Mischa an.
»Du zuerst«, sagte sie. Mischa machte einen Schritt vor. Einen Moment blieb er stehen. Dann streckte er die Hand nach dem Inneren des Rahmens aus. Er griff in die Dunkelheit.
Die Hand wurde geschluckt wie von einem unsichtbaren Maul. Im nächsten Moment war auch der Rest von Mischa verschwunden, als hätte ihn die Dunkelheit aufgesogen und in Nichts aufgelöst, in einem einzigen Atemzug.
Der dritte Gong ertönte. Wanja blieb keine Zeit zum Nachdenken. Sie streckte ebenfalls ihre Hand aus und berührte das dunkle Innere des Rahmens. Wieder hatte sie das Gefühl, in Luft zu fassen, wieder begann der Rahmen sich zu drehen und wieder spürte Wanja diesen seltsamen Sog, der sie vorhin in das Bild hineingezogen hatte.
Vorhin?
Wanja fuhr zusammen. Die Kunsthalle! Jo und Flora! Zum ersten Mal fiel ihr wieder ein, dass die beiden ja mitgekommen waren, mit in die Kunsthalle zumindest. Es mussten Stunden vergangen sein, seit sie sich getrennt hatten. Was würden sie denken? Würden sie Wanja suchen? Die rote Tür entdecken? Womöglich auch den Gang und alles, was dahinter war? Doch bevor sich Wanja weitere Gedanken machen konnte, hatte sie der Schwindel in die Knie gezwungen und der rauschende Wirbel raubte ihr die Sinne.
Als sie zu sich kam, stand sie im Dunkeln und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sie sich wieder in der Arkade des großen Saales befand. Das Licht, das Taros Bild bei ihrem Eintritt ausgestrahlt hatte, war erloschen. Nur die schattigen Umrisse konnte Wanja noch erkennen. Aber hinter dem Vorhang war Licht, im großen Saal, den Wanja jetzt mit wackeligen Knien und klopfendem Herzen betrat. Ihr war noch immer schwindelig, als sie sich umdrehte und nach Mischa suchte.
Er lehnte an einer Säule, schaute an der leuchtenden Mondkugel empor und schien niemanden sonst wahrzunehmen. Auch die anderen Jugendlichen traten jetzt aus ihren Arkaden. Alle blinzelten ins Licht, waren verstummt und schienen verwirrt.
Wenn Wanja ins Kino ging, studierte sie immer die Gesichter der anderen Leute, die vor ihr aus dem Film kamen, um daran abzulesen, wie der Film gewesen war. Einmal waren fast alle Zuschauer schweigend aus dem Kinosaal herausgetreten und hatten ausgesehen, als wären sie aus einer anderen Welt gekommen. So fühlte sich auch Wanja jetzt. Aber das, was sie gesehen hatte, war mehr als ein Film gewesen und sie war mehr als eine Zuschauerin. Sie war dabei gewesen, beteiligt, mittendrin.
Auf der Bühne stand die uralte Frau. Ihre Augen schienen die Jugendlichen zu zählen, bis sie zufrieden nickte und mit dem Kopf zur roten Tür deutete.
»Ihr
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