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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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trauriger Zug umspielte. Hoch zu seinen ungekämmten Haaren, die er sich jetzt aus dem Gesicht strich. Auf der Stirnmitte, dicht unter dem Haaransatz, entdeckte Wanja ein großes dunkles Muttermal. Sie erinnerte sich, wie sie Flora einmal gefragt hatte, ob man Muttermale erben konnte. Flora hatte geantwortet, manchmal schon, und dann hatte Wanja gefragt, ob man sie denn nur von Müttern erbte, worauf Flora sagte, das glaube sie nicht. Aber auf Wanjas Frage, wieso ein Muttermal dann Mutter mal hieß und nicht zum Beispiel Vater mal, hatte Flora nur lachend mit den Achseln gezuckt und gemeint, für ihre Fragerei käme Wanja eines Tages noch ins Guinessbuch der Rekorde.
    »Willst du noch eins?« Taro hielt Wanja den Brotkorb hin. Wanja schüttelte den Kopf und reichte den Korb an Perun weiter.
    »Was meinte der Zirkusdirektor vorhin mit den Proben?«, fragte sie Taro nach einer Weile. »Habt ihr keine Vorstellung mehr?«
    »Jetzt ist Pause«, sagte Taro. »Wir stellen unser nächstes Programm zusammen und proben neue Nummern.«
    »Und dann reist ihr weiter?«
    »Nein«, sagte Taro. »Wenn das neue Programm fertig ist, gibt es noch eine Aufführung an diesem Ort. Erst dann reisen wir weiter.«
    Wanjas Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, aber richtig erkennen konnte sie die Umgebung noch immer nicht.
    »Wo sind wir hier eigentlich?«, fragte sie.
    »Imago«, sagte Perun. »Dieser Ort heißt Imago.«
    Wanja hatte den Namen noch nie gehört. Es schien auch nicht, als wohnten hier viele Menschen. Dabei war das Zirkuszelt vorhin bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen.
    »Und wo sind all die Zuschauer hergekommen?«
    Taro brach sich ein Stück Brot ab. »Wahrscheinlich aus den umliegenden Ortschaften.«
    Am anderen Ende der Tafel fing Gata an zu kichern und Wanja beugte sich neugierig vor. Der komische Zauberer an Gatas Seite hatte eine winzige Toilettenspüle aus pinkfarbenem Plastik neben seinem Teller aufgestellt. Daran betätigte er jetzt die Spülung. Es gab ein ohrenbetäubend lautes Rauschen, das nur von dem Ausruf des einen Zwillings übertönt wurde. »STECK SOFORT DIESEN PISSPOTT WEG, TATÜ, DAS IST JA EKELHAFT!«
    Thyra, dachte Wanja und konnte sich das Lachen nur mühsam verkneifen. Dieser Scherzartikel wäre das Spielzeug für Brian Trockenbrodt gewesen. Mit einem artigen Lächeln ließ der Zauberer das Miniaturklo wieder unter dem Tisch verschwinden und zog dann an dem Einstecktuch, das vorne in seiner Jackentasche steckte. Er zog und zog. Das Tuch wurde lang und länger, ein, zwei Meter lang. Wanja sah kopfschüttelnd zu Taro, der schmunzelnd mit den Schultern zuckte. Der Zauberer zog weiter. Drei, vier, fünf Meter. Neben ihm auf dem Tisch türmte sich der dunkelgrüne Stoff. Sechs Meter, sieben, acht.
    Gata gluckste, Noaeh lächelte und auch bei Thyra zuckte es jetzt um die Mundwinkel. Neun Meter. Zehn Meter. Zwanzig Meter.
    »Das gibt’s doch gar nicht«, entfuhr es Wanja. Und während Pati Tatü immer noch weiterzog, stand O auf, verschwand im Zirkuszelt und kam gleich darauf mit einer Trommel und einem Tamburin zurück. Die Trommel stellte er vor Taro, das Tamburin begann er selbst zu spielen. Sulana zog eine Gitarre neben ihrem Stuhl hervor. Sie spannte die Saiten, nickte im Takt zu Os Tamburin und fing an sich einzuspielen.
    Inzwischen hatte Pati Tatü das Ende seines Tuchs erreicht. Eine winzige Mundharmonika war daran befestigt und der Zauberer setzte sie an den Mund. Die munteren Töne hüpften zwischen Tamburin und Gitarre hin und her wie übermütige Flöhe.
    Noaeh sang. Und schließlich fing Taro an zu trommeln. Langsam und leise wie ein Regen, der gerade beginnt, stieg er in den Takt des Tamburins ein. Doch dann wurde er lauter, schneller, fordernder, bis er es war, der den Rhythmus vorgab. Die anderen folgten ihm: O auf dem Tamburin, Sulana auf der Gitarre, Pati Tatü auf seiner Mundharmonika und Noaeh mit ihrer Stimme. Wild und rau klang sie jetzt, wie die Stimme einer Zigeunerin.
    Taro hatte wieder die Augen geschlossen, während seine Hände auf die Trommel niederprasselten. Wanja merkte, wie ihre Füße im Takt auf den Boden tippten. Dieses Stück erzählte eine andere Geschichte und Wanja fühlte, dass die Musik nicht einstudiert war wie die in der Manege. Diese Musik war gerade entstanden, aus dem Moment heraus, und wieder hingen Mischas weit geöffnete Augen an Taro.
    »Der weltbeste Trommler ist er«, sagte O, als die letzten Töne verklungen waren und Taro die Augen noch

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