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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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das Bild von Taro und daran, was jetzt gerade wohl im Zirkus Anima passierte.
    »Seid ihr heute Abend auch im Dorf?« Wanja fuhr herum. Neben ihr stand der Blonde.
»Keine Ahnung«, entgegnete sie mit einem unbehaglichen Gefühl im Magen. Britta hatte ein paar Schritte auf sie zugemacht, war aber dann auf halber Strecke stehen geblieben und starrte mit offenem Mund zu ihnen herüber.
»Wir gehen wieder in die Billardkneipe«, sagte der Blonde und drehte seinen Oberkörper so, dass Britta dahinter verschwand. »Ich hab gehört, da soll mal ein Film gedreht worden sein.«
»Eine Jugendserie«, entgegnete Wanja knapp.
»Und? War sie gut?«
»Geht so. Hab nur den ersten Teil gesehen« Wanja wich den grünen Augen aus und überlegte krampfhaft, wie sie aus dieser Situation herauskommen konnte.
»Ist die Dicke in dem karierten Kostüm da drüben eure Lehrerin? Frag sie doch mal, ob ihr heute Abend nicht auch kommen könnt. Oder sitzt du lieber im Gemeinschaftsraum und spielst Mensch ärgere dich nicht ?« Die grünen Augen fixierten sie und Wanja wusste langsam nicht mehr, wo sie hinschauen sollte. Da kam ihr der Kopfhörer neben dem Bild ganz recht. Sie griff danach, setzte ihn über die Ohren und drehte sich um. Eine sonore Männerstimme erzählte etwas über das Gemälde. »Das Selbstbildnis des Kapitäns wurde im Jahre 1814 in einem alten …« Wanja runzelte die Stirn, als plötzlich ein Rauschen ertönte. Es wurde lauter, schluckte die Männerstimme, wurde dann wieder leiser und erstarb. Eine zweite Stimme ertönte. Wanja erkannte sie sofort. Es war die Stimme der uralten Frau.
»Der nächste Besuchstag für die Ausstellung Vaterbilder ist der 13. November. Finde dich um Mitternacht bei der roten Tür in der Abteilung Alte Meister ein.«
Die Stimme verstummte. Das Rauschen ertönte wieder.
Wanjas Herz setzte für einen Moment lang aus.
Sie riss sich den Kopfhörer vom Kopf, schüttelte ihn wie wild, setzte ihn wieder auf und presste beide Hände gegen die Muscheln. Aber das Einzige, was sie hörte, war die sonore Männerstimme, die vom Bild des alten Kapitäns erzählte. Der blonde Junge war wieder zu seinen Freunden gegangen. Britta stand jetzt neben ihr und stieß Wanja wütend in die Seite. Aber Wanja schubste Britta einfach weg. Alles Blut war ihr aus dem Gesicht gewichen. Der 13. November war morgen, ihr letzter Abend, und während Britta ihr zuzischte, was für eine widerliche Kuh sie sei, fragte sich Wanja verzweifelt, wie sie morgen um Mitternacht in der 150 Kilometer weit entfernten Kunsthalle sein sollte.
    Nach dem Abendessen stand Frau Gordon besorgt an Wanjas Bett. »Brauchst du noch irgendwas? Soll ich dir einen Tee bringen?«
    Wanja brauchte sich keine Mühe zu geben, um krank auszusehen. Die Nachricht vom Nachmittag hatte sie derart geschockt, dass sie sogar Brittas wütende Bemerkungen widerstandslos über sich ergehen ließ.
    »Sei doch froh, jetzt komme ich wenigstens nicht mit in die Kneipe«, sagte sie tonlos, als sich die drei anderen nach dem Essen für den Abend fertig machten. Frau Gordon hatte den Besuch in der Billardkneipe von sich aus vorgeschlagen und gemeinsam mit der Klasse Herrn Schönhaupt eindeutig überstimmt.
    »Wenn irgendetwas ist, hier hast du die Nummer von der Kneipe. Du kannst jederzeit dort anrufen.« Frau Gordon legte ihre Hand auf Wanjas Stirn. »Fieber hast du jedenfalls nicht. Vielleicht kannst du gut schlafen und bist morgen wieder ganz fit. Und du willst bestimmt nicht, dass ich deine Mutter anrufe?«
    Wanja schüttelte den Kopf. »Danke, Frau Gordon. Ich habe einfach nur Kopfweh, das geht schon wieder vorbei.«
Sie schloss die Augen, doch sobald sich die Stimmen ihrer Mitschüler vor dem geöffneten Fenster entfernt hatten, sprang sie aus dem Bett und lief in die Eingangshalle zur Telefonkabine. Das Mitbringen von Handys hatte Frau Gordon verboten, aber Wanja besaß sowieso keins.
Sie krampfte ihre Finger um den Daumen, als sie zum dritten Mal an diesem Tag Mischas Nummer wählte. Am Nachmittag und während die anderen beim Abendessen saßen, hatte sich niemand gemeldet. Bitte Mischa, betete sie, bitte, bitte, geh dran.
Dieses Mal hatte sie Glück. Gleich nach dem ersten Klingelzeichen ertönte Mischas Stimme.
»Ich hab schon alles für dich rausgefunden«, sagte er. »Euer Schullandheim liegt nicht weit vom Bahnhof, es sind ungefähr fünf Kilometer, der Weg von der Hauptstraße soll ausgeschildert sein. Vom Bahnhof geht jeden Abend um 20:47 Uhr ein Zug nach Husum.

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