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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Schulter. »Du warst großartig«, sagte er.
Aber Wanja hörte ihn kaum. Die Abschlussvorstellung, dachte sie. Sie wird auch unser Abschied sein. Und bis dahin sind noch viele Fragen offen.
K LASSENFAHRT
    M it einem Ruck setzte sich der Bus in Bewegung. Aus dem Regen der letzten Wochen war Hagel geworden. Ein Heer von Eiskügelchen trommelte gegen die große Fensterscheibe. Auf dem Bürgersteig, dicht gedrängt unter Regenschirmen, eingehüllt in dunkle Mäntel, Schals und Mützen standen die Eltern und winkten ihren Kindern mit eingezogenen Köpfen zum Abschied. Der einzige Farbtupfer kam von Flora. Mit ihren knallroten Lederhandschuhen warf sie Wanja Kusshände zu und verpasste beim Ausholen Tinas Vater beinahe eine Ohrfeige. Sie hatte Wanja am Morgen abgeholt, weil Jo zu einer Präsentation musste. Auch Frau Sander hob die Hand zum Gruß, sie trug einen grauen Kaschmirmantel und ihr Lächeln hatte etwas Tapferes. Herr Sander war nicht dabei, wie er auch die letzten Male nicht beim Mittagessen gewesen war, aber Wanja scheute sich Britta darauf anzusprechen. Sues Vater, einen dunkelbraunen Cowboyhut auf dem Kopf, quetschte sich an Thorstens Mutter vorbei und konnte gerade noch die Hand an den Mund legen, dann ordnete sich der Bus in die rechte Spur ein und bog um die Ecke.
    »Wie man im November auf Klassenreise an die Nordsee fahren kann, ist mir immer noch ein Rätsel. Ich meine, die spinnen doch, oder?« Mürrisch ließ sich Sue in ihren Sitz zurückfallen.
    »Ach komm schon, Sue. Besser im November als gar nicht.« Tina stieß ihre Freundin an. Auf ihr weißes Sweatshirt war ein dunkelbrauner Pferdekopf gedruckt. »Es ging nun mal kein anderer Termin – und für mich wird es wenigstens ein schöner Abschied.« Tina lächelte traurig, aber Sue zeigte schnaubend aus dem Fenster.
    »Wirklich ein wunderbarer Abschied! Das Wetter ist ja auch richtig traumhaft, findet ihr nicht? Und wenn wir Glück haben, wird aus dem Hagelsturm noch ein Orkan, dann werden wir schön romantisch übers Meer gefegt.«
    Britta, die neben Wanja auf der anderen Seite des Gangs saß, kicherte. »Mal den Teufel nicht an die Wand, Sue. Wenigstens hat das Schullandheim eine Disco, das ist doch schon mal was.« Sie quetschte ihren pinkfarbenen Lackrucksack zwischen sich und Wanja und zog den Prospekt vom Schullandheim daraus hervor, den Frau Gordon letzte Woche an alle verteilt hatte.
    »Ist das der aus dem Schaufenster?«, fragte Wanja.
    Britta sah sie irritiert an. »Was? Der Prospekt?« »Quatsch. Der Rucksack.«
»Ach so, der.« Britta lächelte ein Zahnpastalächeln.
    »Den hat mein Paps mir gestern für die Reise geschenkt. Echt stark, was?«
    »Mhm«, murmelte Wanja und hielt sich mit aller Kraft an ihre guten Vorsätze, nichts Abfälliges mehr zu sagen.
Brittas Gesicht hellte sich sofort auf. »Schätz mal, was der gekostet hat!«, platzte sie heraus. »Oder erinnerst du dich noch?«
Wanja schüttelte den Kopf. Aber diesmal kam die gehässige Bemerkung von der anderen Seite des Gangs.
»Warum malst du den Preis nicht mit rotem Lippenstift drauf?«, schlug Sue vor. »Dann sieht ihn wenigstens jeder.«
»Ich lach mich tot«, murmelte Britta. Ihre Miene hatte sich schlagartig wieder verdunkelt.
Wanja drehte sich zum Fenster. Der Hagel wurde schwächer, aber draußen war noch immer alles grau. Dreieinhalb Wochen waren seit Wanjas letztem Besuchstag vergangen und sie hatte noch keine Nachricht für den nächsten erhalten. Aber, dachte sie, als sie eine Papierkugel abfing, die Thorsten aus der vordersten Reihe nach hinten schleuderte, bei ihrer Großmutter war die Nachricht ja auch angekommen und für alle Fälle hatte sie Mischa die Telefonnummer vom Schullandheim dagelassen.
Die Fahrt dauerte nur knapp zwei Stunden, doch als der Bus auf dem großen Parkplatz vor dem riesigen, reetgedeckten Gebäude parkte, hatten sie das schlechte Wetter hinter sich gelassen. An der Nordsee schien die Sonne.
»Hey, kuckt euch das an!« Sue zwängte sich zu Wanja und Britta auf die Sitzreihe und zeigte auf den zweiten Bus, der gerade neben ihnen hielt. »Es gibt anscheinend noch andere Vollidioten, die im November auf Klassenreise ans Meer fahren.«
Die Schüler im Nachbarbus schienen ein ganzes Stück älter zu sein.
»Oooh, ich sterbe! Hast du den gesehen?« Britta rammte Wanja so feste ihren Ellenbogen in die Seite, dass Wanja fast die Luft wegblieb. Als Britta ihr das Gesicht zuwandte, war sie knallrot. »Du, ich glaub, er hat mich gerade

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