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Die geheime Sammlung

Die geheime Sammlung

Titel: Die geheime Sammlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Shulman
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sehen.«
    »Vielleicht eines Tages. Wir lernen unsere Pagen gern ein bisschen besser kennen, ehe wir sie in unseren Sondersammlungen arbeiten lassen. Einige der Objekte dort sind ziemlich … mächtig.«
    Ich dachte nach. Wenn das wirklich die Gegenstände waren, die Menschen zu den berühmten Märchen inspiriert hatten, war
mächtig
auch in meinen Augen ein passendes Wort. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich die Schuhe berühren würde, die die Idee für das Märchen von Aschenputtel geliefert hatten; oder die Spindel, die die Inspiration für Dornröschen war. Als ich sechs gewesen war, hatte meine Mutter mich mitgenommen, um sich mit mir Tschaikowskis Dornröschen anzusehen. Seitdem war ich dem Ballett und den Märchen verfallen. Wie sehr ich mir wünschte, meine Mutter wäre noch am Leben! Ich würde so gern ihren Gesichtsausdruck sehen, wenn ich ihr von dem Sammelsurium erzählte.
    Wenn ich doch nur von ihm gewusst hätte, als ich die Arbeit für Mr.Mauskopf geschrieben hatte, schoss es mir da durch den Kopf. Was mein Lehrer wohl von alldem hielt? Jedenfalls hoffte ich, das Sammelsurium bald sehen zu können. Und ich wusste, dass ich wieder hart würde arbeiten müssen, um Dr.Rust und den anderen zu beweisen, dass ich auch wirklich vertrauenswürdig war.
    »Das klingt phantastisch! Ich würde sehr gern dort unten arbeiten«, sagte ich.
    Er nickte. »Geduld. Ein Sprichwort der Akan sagt: ›Man isst einen Elefanten Bissen für Bissen.‹«

[home]
    Kapitel 5
    Eigenartige Gäste und Schuhe, die nicht funktionieren
    Z wei Wochen später bekam ich meinen ersten Lohn. Genug, um mir neue Turnschuhe zu kaufen, und sogar genug, um ein paar Klamotten zu ersetzen, die verschwunden waren, als Hannah aufs College gegangen war. Ich arbeitete drei Schichten in der Woche, zweimal nach der Schule und einmal samstags.
    Die nächsten paar Schichten arbeitete ich in Magazin 5 (V W: Werkzeuge), Magazin 4 ( IV M: Musik) und Magazin 7 ( VII SK : Schöne Künste). Es war großartig, die Schubladen voller Gemälde herauszuziehen und die verschiedenen Stile nebeneinander zu sehen. Kubistische Porträts drängelten sich an Alltagsszenen und beeindruckende Landschaftsdarstellungen. Die Skulpturen waren sehr schwer; ich hatte Probleme, sie zu bewegen. Zum Glück teilte uns Ms.Callender paarweise für die Magazine ein, so dass immer jemand da war, der mir helfen konnte. Meist war es Marc oder ein stiller, kräftiger Junge namens Josh.
    Nach einigen Wochen im Archiv stellte ich fest, dass ich gewöhnliche Dinge wie Stühle, Fenster und Hot-Dog-Stände mit anderen Augen ansah. Ich bemerkte ihre Form. Ich erkannte, woraus sie gemacht waren. Ich verstand, wie sie funktionierten. Die verschiedenen Türen in meiner Nachbarschaft fielen mir ins Auge, die geschnitzten Eichentüren in den braunen Häusern, die spitzen Eisengatter an den Apartmenthäusern und die besprühten Metalltore an den Läden. Gegenstände erinnerten mich plötzlich an andere Gegenstände, oft an solche aus der Sammlung: Der Springbrunnen vor dem Hotel Plaza sah aus wie ein Eierbecher in Magazin 9 , der Fahrradhelm meines Vaters hatte dieselbe schnittige Form wie ein Schallplattenspieler in Magazin 4 . Ich fühlte mich, als hätte ich neue Augen. Mein Vater hatte noch keine Zeit gefunden, mich zu besuchen. Sein Pech, dachte ich mir.
    Nachdem ich einen schwerwiegenden Fehler in Magazin 9 entdeckt hatte – Josh war dabei, einen Bleischmelzkessel aus Magazin 5 (V W: Werkzeuge) bei den Kasserollen in der Sektion Küchenwaren in Magazin 9 ( IX HW : Haushaltswaren) abzulegen –, entschied Ms.Callender, dass ich für den Hauptuntersuchungsraum, den HU , bereit war.
    Ich hatte meine erste Schicht dort an einem kalten, klaren Samstag. Zuvor war ich noch nie an einem sonnigen Tag im HU gewesen. Als ich nun die Tür vom dunklen Korridor aus öffnete, konnte ich kaum glauben, dass ich noch im selben Gebäude war, oder überhaupt in einem Gebäude. Sonnenlicht strömte von allen Seiten herein, floss gefiltert durch Blätter und Blüten und kahle Äste. Es glitzerte in Flussläufen, Wasserfällen und Schneewehen, schimmerte auf nassen Felsen und Rabenschwingen.
    Einen Augenblick später erkannte ich, was ich sah: keinen verzauberten Hain, sondern die berühmten Tiffany-Fenster. Der HU war auf allen vier Seiten von Waldszenen umgeben. Im Norden lag der Winter, mit Reif bedeckte Felsen und schwarze Äste vor einem klaren Himmel. Im Osten der Frühling: Krokusse, ein

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