Die geheime Sammlung
unheimlich genug aus, sein Spiegelbild aber war so grausam, dass es mich ängstigte. Was er wohl in meinem Gesicht im Spiegel sah? Dieser Spiegel veränderte die Dinge auf seine eigene Weise.
Aaron fragte den Spiegel:
»Elizabeth, in diesem Raum,
Kann ich ihr ganz und gar vertraun?«
Mit einem leicht süffisanten Grinsen auf den perfekten Lippen hörte sein Spiegelbild ihm zu. Es sah mir direkt in die Augen und antwortete mit Aarons Stimme:
»Vertrauenswürdig? Das ist sie.
Nur hübsch wird Elli leider nie.«
»Oh, nett«, sagte ich. »Fürs Protokoll: Mein Name ist Elizabeth. Elizabeth! Niemand nennt mich Elli. Hast du das gehört, du widerwärtiges Stück?« Ich starrte den Spiegel finster an, hörte aber sofort wieder auf. Ich wollte nicht daran denken, was aus meinem Blick werden würde, sobald der Spiegel ihn verzerrt hatte. Ich drehte mich zu Aaron um. »Wieso glaubst du, du könntest diesem Ding vertrauen? Es ist böse!«
»Ich weiß, aber es kann nicht lügen.«
»Oh, danke.«
»Nein, ich meine: Er hat recht damit, dass du tapfer bist … und er sagt den Leuten die Wahrheit über ihr Aussehen. Du weißt doch, in dem Moment, in dem Schneewittchens Stiefmutter nicht mehr die Schönste im Land war, sagte er es ihr.«
Aarons Spiegelbild lächelte selbstgefällig, während Aaron selbst eine krude Mischung aus Wut und peinlicher Berührtheit zeigte.
»Also sagst du damit, dass du zustimmst: Ich bin nicht hübsch?«
»Nein – das habe ich nicht gesagt! Ich meine, der Spiegel muss die Wahrheit sagen. Aber es muss nicht die ganze Wahrheit sein. Er kann nicht lügen, aber er kann so gemein und verwirrend sein, wie er will. Er genießt es, Leute fertigzumachen und sie in Schwierigkeiten zu bringen. Denk mal daran, was mit Schneewittchens Stiefmutter passiert ist.«
»Das fällt mir gerade nicht ein. Was ist mit ihr passiert?«
»Ich erinnere mich auch nicht daran. Irgendetwas Schlimmes. Aber darum geht es auch nicht. Worum es geht, ist, dass der Spiegel es liebt, zu sticheln und zu quälen, aber er nicht geradeheraus lügen kann. Also, wenn ich darüber nachdenken soll, er hat recht:
Hübsch
ist nicht das Wort, das ich für dich wählen würde … Du kannst in jemandes Augen schön sein, aber nicht hübsch.«
»Oh. Und das soll es also sein, was der Spiegel vorhin gemeint hat? Dass ich in irgendjemandes Augen und verkorkstem Geschmack vielleicht schön sein könnte?« Glaubte er wirklich, er könnte sich damit herauswinden, die Beleidigung als Kompliment gemeint zu haben?
Aaron warf seine Hände in die Luft. »Was ist mit euch Frauen los? Da ist ein magischer Spiegel, der dir die Wahrheit zu allen Dingen, die man wissen will, sagen kann, und alles, was euch interessiert, ist euer Aussehen!«
»Was meinst du mit ›euch Frauen‹? Wen meinst du mit ›euch Frauen‹?«
»Schneewittchens Stiefmutter und dich zum Beispiel.«
»Oh, jetzt wirfst du mich also mit Schneewittchens Stiefmutter in einen Topf? Pass auf, ich könnte dich mit einem Apfel vergiften.«
Aarons Spiegelbild sah aus, als würde es die Situation viel zu sehr genießen.
»Du, schau mich nicht so an!«, befahl ich ihm. »Wenn ich keine Angst vor den sieben Jahren Pech hätte, würde ich dich in Stücke schlagen.« Aarons Spiegelbild krümmte sich vor Lachen. Ich nahm einen Schuh vom Boden und hielt ihn drohend hoch.
»Eins sag ich dir, du mieses Stück: Vertrau nicht zu sehr auf dein Glück.«
Der Spiegel antwortete:
»Elizabeth, die mir da droht,
Versteht nicht: Sie reimt mit dem Tod.«
»Du meinst, du kannst mir Angst machen? Ich habe nicht die geringste Angst vor dir!« Meine Stimme klang panisch.
Aaron nahm mir sanft den Schuh aus der Hand und legte ihn hin. »Mein erstgeborenes Kind, schon vergessen? Zerbrichst du ihn, verliere ich es. Lass uns den Spiegel einfach nach Anjali befragen.«
Ich riss mich zusammen. »Okay, wenn du meinst, dass das irgendetwas bringt.« Ich dachte eine Weile nach und sagte dann:
»Anjali, die ältere Rao,
Sag mir, wo find ich sie genau?«
Der Spiegel antwortete:
»In einem Raum aus Glas sie ruht,
Gemacht für königliches Blut.
Von Versailles bis zum Taj Mahal,
Steht sie als Puppe überall.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Aaron. Der Spiegel ließ sich nicht zu einer Antwort herab.
»Ich glaube, das heißt, sie ist eine Puppe.«
»Ja, ja, wir wissen, dass sie perfekt aussieht, aber wo
ist
sie?«
»Nein, ich meine, sie ist wirklich eine Puppe. Wir glauben, dass Mr.Stone sie in
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