Die geheime Sammlung
eine Puppe verwandelt hat. Er hat es bei uns auch versucht.«
Ich drehte mich zum Spiegel.
»Abstrakta sind mir ziemlich schnuppe,
Heißt das, sie ist eine Puppe?«
Aarons Spiegelbild nickte.
»Na gut, jetzt ist es endlich raus«
, antwortete der Spiegel und unterstrich das Ganze mit einer ekelhaft aussehenden Geste.
»Sie wohnt in einem Puppenhaus.«
»O nein, das ist ja schrecklich!«, sagte ich.
»Wie können wir sie zurückholen?«, fragte Aaron.
Ich sprach den Spiegel an:
»Wir möchten Anjali befrei’n
.
Wie machen wir’s? Wo mag sie sein?«
Aarons Spiegelbild schwenkte seinen Finger schelmisch in meine Richtung und sagte:
»Wo ist nur Ellis Rivalin hin? So wahr ich ein Zauberspiegel bin, könnt’ ich ihr die Antwort sagen – nur wär’ Elli dann selbst nicht mehr Königin.«
Aaron drehte sich zu mir, die Augen weit aufgerissen. »Ist das wahr? Ist Anjali deine Rivalin? Wieso?«
»Oh,
komm
schon! Sag mir nicht, dass du dem Ding glaubst! Du weißt, dass der Spiegel böse ist! Du hast selbst gesagt, dass er es liebt, Leute fertigzumachen.«
»Jaaa, ich glaube schon. Aber sie klang trotzdem ziemlich überzeugend.«
»Wer klang überzeugend?«
»Der Spiegel.«
»Wieso nennst du ihn ›sie‹? Er hat mit deiner Stimme gesprochen.«
»Nein, hat er nicht – er hat deine benutzt. Und nun grinst sie mich selbstgefällig an, genau wie du.«
Aaron funkelte mich an, aber sein Spiegelbild sah aus, als würde es gleich laut loslachen.
»Ich wette, das ist so, weil wir uns nicht selbst sehen können, wir sehen uns nur gegenseitig. Der Spiegel muss uns zeigen, was wir in ihm sehen. Komm hier herüber, dann spiegelt er uns beide«, sagte ich. Ich saß auf dem Bett, gegenüber vom Spiegel. Aaron kam dazu und setzte sich neben mich, seine Schulter berührte meine.
Im Spiegel legte sein Spiegelbild meinem Spiegelbild den Arm um die Schulter. Mein Spiegelbild kuschelte sich an ihn und sah ihn von unten bewundernd an. Sein Spiegelbild begann mit den Haaren meines Spiegelbilds zu spielen. Sie drehte sich, rollte sich mit den Beinen auf dem Bett zusammen und legte den Kopf in seinen Schoß. Ich hörte, wie mir ein verlegenes Kichern rausrutschte. Das war mindestens genauso peinlich wie das, was im Spiegel vor sich ging.
Aaron sah auch verlegen aus. Er sagte:
»Anjali! Geht es ihr gut?
Die Antwort bitte, mach uns Mut.«
Unsere Spiegelbilder legten die Wangen aneinander und sangen leise:
»Umringt von den Blaublut-Verwandten,
die über Jahr und Tag verschwanden,
Ist sie der Sammlung schönstes Stück,
In Sicherheit, doch ohne Glück.«
Dann legten sie ihre Stirnen aneinander und sahen sich gegenseitig in die Augen.
Ich wandte mich zu Aaron um und sagte: »Okay. Also, wenn wir dem Spiegel trauen können, dann ist sie zumindest im Moment nicht in Gefahr. Das sind zumindest mal gute Nachrichten. Wir haben Zeit, uns alles genau zu überlegen.«
»Während du versuchst, Marcs Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen, weil deine Rivalin aus dem Weg ist?«
»Aaron, was ist los mit dir?«
Aus dem Spiegel heraus starrten uns unsere Spiegelbilder mit leicht geöffneten Mündern an, als würden sie den Höhepunkt eines spannenden Films anschauen. Sie hielten sich gegenseitig im Arm.
»Los komm, Aaron! Lass uns noch einmal versuchen, etwas Sinnvolles aus diesem schrecklichen Ding herauszubekommen. Und wenn das nicht klappt, dann zerschlagen wir ihn. Oder wir decken ihn zumindest ab.«
»Ja, okay. Du fragst diesmal.«
Ich dachte kurz nach und sagte:
»Die letzte Frage, beantworte sie!
Wie können wir befreien Anjali?«
Als ob sie wüssten, dass ihre letzte Chance, uns zu quälen, gekommen war, widmete sich das Paar im Spiegel einander nun mit neuer Heftigkeit. Wie in einer grausigen Parodie auf Marc und Anjali im magischen Bild nach dem Basketballspiel oder in meinem Traum in dieser Nacht, begann Aarons Spiegelbild damit, mein Spiegelbild auf den Nacken zu küssen. Dann drehte sich mein Spiegelbild zu uns und hauchte:
»Schön-Anjali finden? Befreien? Erretten?
Gelänge jenen, die den Goldenen Schlüssel hätten.«
Dann fuhr sie damit fort, sich auf eindeutig anzügliche Art an Aarons Spiegelbild zu reiben.
»Aufhören!«, knirschte Aaron. Ein Klopfen ertönte von der Tür hinter uns. Nahezu sofort öffnete sich die Tür und eine Frau kam herein. Ich sah sie im Spiegel, wie sie uns anstarrte – höchstwahrscheinlich starrte die echte Frau unsere Abbilder im Spiegel an.
Ich konnte verstehen, warum es
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