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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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erlösen. Oder wenn nicht dies, dann möge Er mir zumindest eine Richtung weisen, mir Seinen Willen zeigen. Aber nichts geschah. Keine gigantische Gotteshand senkte sich herab. Kein kostbares Wort göttlicher Weisung wurde mir ins Ohr geflüstert. Ich kletterte, nass und vor Kälte bibbernd, in den Schlafsaal zurück und legte mich zu Bett. Als ich endlich einschlief, träumte ich.
    In meinem Traum wurde ich von einer grausamen und hinterhältigen Hexe in einem hohen Schlossturm gefangen gehalten. Draußen tobte ein Sturm. Drinnen schmachtete ich, hungernd und vergessen, und wartete darauf, dass mein Liebstermich retten würde. Die Kräfte hatten mich beinahe ganz verlassen. Sicherlich lag ihm doch noch an mir, sicherlich würde er kommen, ehe es zu spät war! Da klopfte es ans Fenster. Ich eilte hin und riss es auf. Eine dunkle, schneidige, elegante Gestalt, prächtig gekleidet, sprang herein, riss mich in die Arme und küsste mich stürmisch. Er war es! Es war mein geliebter Herzog von Zamorna! Aber als er sich ein wenig zurücklehnte und seinen anbetenden Blick auf mir ruhen ließ, verschlug es mir vor Entsetzen den Atem. Es war nicht der Herzog.
Es war Monsieur Héger
!
    Der Traum hatte kaum ein, zwei Minuten gedauert, aber das war genug, um mich mit äußerster Beschämung zu erfüllen, als ich aufwachte. Ich hatte mich so sehr bemüht, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich keinerlei tiefe Gefühle für meinen Professor hegte – dass meine Liebe zu ihm unschuldig und völlig ehrenhaft war. O Charlotte, lass alle Hoffnung fahren! Was sollte ich mit diesen unwillkommenen Gedanken und Bildern anfangen?
    Am nächsten Morgen brachte mir die Köchin Tee ans Bett. Als sie bemerkte, wie mitgenommen ich aussah, sagte sie besorgt:
»Vous avez besoin d’un docteur, mademoiselle. J’en appelle un.«
8
    »Non, merci«
, antwortete ich, denn ich wusste, dass mir kein Arzt helfen konnte.
    Endlich legte sich der Sturm. Das Wetter wurde wieder schön. Ich zog mich an und machte mich auf nach draußen, um meine Gedanken zu klären. Viele Stunden lang lief ich durch die Boulevards und Straßen von Brüssel. Ich spazierte bis zum Friedhof und zu den Hügeln und Feldern jenseits davon. Während ich so ging, wanderten meine Gedanken nach Hause. Ich versuchte mir vorzustellen, was Emily in diesemAugenblick wohl machte. Zweifellos hielt sie sich in der Küche auf und hackte Fleisch klein, während Tabby in das Feuer blies, um die Kartoffeln darüber zu einer Art pappigem Brei zu verkochen. Papa war wahrscheinlich in seinem Studierzimmer und schrieb einen Beschwerdebrief über irgendeine Angelegenheit von regionaler Bedeutung an den
Leeds Intelligencer
. Anne war in Thorp Green und spielte mit den Robinson-Kindern, während Branwell seinem Schüler ein klassisches Gedicht vortrug. Wie wunderbar erschienen mir diese Phantasiebilder! Wie sehr vermisste ich sie doch alle!
    Als ich aufblickte, stellte ich fest, dass ich wieder mitten in der Stadt war und vor der Kirche St. Gudula stand. Es war eine katholische Kirche, gehörte also zu einer Religion, die mein Vater verachtete und die mir sehr wesensfremd war, die mir aber, während ich im Pensionat unter Katholiken lebte, zunehmend vertraut geworden war.
    Die Glocken begannen zur Abendandacht zu läuten; sie schienen mich hereinzurufen. Obwohl ich dergleichen noch nie getan hatte, trat ich ein. Drinnen beteten ein paar alte Frauen. Ich hielt mich hinten in der Kathedrale auf, bis die Andacht vorüber war. Ich sah sechs oder sieben Leute vor den offenen Nischen, die als Beichtstühle dienten, auf den Steinstufen knien. Ich näherte mich, von einer Kraft gezogen, die ich nicht benennen konnte. Die Beichtenden flüsterten durch ein Gitter dem Priester auf der anderen Seite ihre Geständnisse zu. Eine Dame kniete in meiner Nähe und drängte mich mit freundlicher Stimme, schon hineinzugehen, weil sie noch nicht bereit sei.
    Ich zögerte. Aber in diesem Moment war mir jede Möglichkeit, mich an Gott zu richten, so willkommen wie einer Verdurstenden ein Glas Wasser. Ich trat in eine der Nischen und kniete mich hin. Nach einigen Augenblicken öffnete sichhinter dem Gitter eine kleine Holztür, und ich sah, wie der Priester sein Ohr zu mir lehnte. Plötzlich wurde mir klar, dass ich die Beichtformeln nicht kannte. Was sollte ich sagen? Wie musste man anfangen?
    Ich verlegte mich auf die Wahrheit. »
Mon père, je suis Protestante
.« 9
    Der Priester wandte sich überrascht zu mir. Obwohl

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