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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Schließlich beschwor mich eine innere Stimme, ich müsse handeln, ich dürfte meine Gefühle nicht weiter beachten und müsse meinem Gewissen folgen. Die geheime Liebe, die in mir, unerwidert und unausgesprochen, herangewachsen war, würde sonst mein Leben vergiften. Ein einziges schreckliches Wort fasste alles zusammen, was jetzt zu tun war: Fortgehen!
    Nicht lange nachdem die Schule wieder angefangen hatte,nahm ich all meinen Mut zusammen. Ich passte einen Augenblick ab, in dem Madame Héger allein im Salon war und teilte ihr – mit Entschuldigungen wegen der Unannehmlichkeiten – meine Kündigung mit. Kurz traten Erleichterung und Überraschung auf Madames sonst eher leidenschaftsloses Gesicht, doch dann senkte sich die gewohnte Maske wieder darüber. »Machen Sie sich unseretwegen keine Sorgen, Mademoiselle«, sagte sie mit eiskalter Stimme. »Wir kommen zurecht. Sie können, wenn Sie wünschen, sofort gehen.«
    Am nächsten Tag ließ Monsieur Héger mich zu sich rufen. Als ich in die Bibliothek trat und mich auf den angebotenen Stuhl setzte, musste ich mir die allergrößte Mühe geben, meine Tränen zurückzuhalten, und ich machte mich gefasst auf das, von dem ich glaubte, dass es nun kommen würde: seine ruhigen, gemessenen Abschiedsworte. Stattdessen schaute er mich zu meiner Überraschung mit hochgezogenen Augenbrauen und erhobenen Händen an, und in seinen Augen lagen Schmerz und Verwirrung.
    »Was soll dieser Wahnsinn? Sie gehen? Welcher Dämon hat Sie dazu gebracht? Sind Sie hier nicht glücklich?«
    »Monsieur, ich war hier sehr glücklich. Es schmerzt mich, diesen Ort und Sie zu verlassen. Aber ich muss.«
    »Warum? Hat man Ihnen eine andere Arbeitsstelle angeboten?«
    »Nein.«
    »Was erwartet Sie dann zu Hause?«
    »Nichts Besonderes, Monsieur. Aber ich muss zurück.«
    »Ich wiederhole: Warum?«
    Wie konnte ich es ihm erklären? Selbst seine Gattin hatte es offensichtlich nicht gewagt, ihm die Wahrheit zu sagen. »Ich … ich war zu lange fort, Monsieur. Ich vermisse mein Zuhause und meine Familie.«
    »Ich verstehe, dass Sie Heimweh haben, Mademoiselle. Sie hätten die großen Ferien zu Hause verbringen sollen – ich habe es Ihnen ja gesagt. Aber jetzt zu gehen, so einfach – und das Schuljahr hat doch eben erst begonnen! Es ist nicht so leicht, eine gute Englischlehrerin zu finden. Was sollen wir nur machen?«
    »Sie werden eine andere Lehrerin finden, Monsieur. Sie werden mich längst vergessen haben, ehe ich Sie vergesse.«
    »Wie können Sie so etwas sagen, Mademoiselle? Nach all dieser Zeit, nach all den Gesprächen, die wir miteinander geführt haben, könnte ich Sie niemals vergessen. Sie sind eine der gescheitesten Schülerinnen, die ich je hatte.« Seine Freundlichkeit rührte mich so, dass ich beinahe vor Kummer zusammenbrach. Gleichzeitig erfüllte sie mich aber auch mit Angst und jagte mir kalte Schauer über den Rücken. »Sind wir nicht gute Freunde, Mademoiselle?«
    Ich unterdrückte ein Schluchzen. Seine Worte quälten mich. »Wir sind gute Freunde, Monsieur.«
    »Als Sie herkamen, hatten Sie Angst vor mir, glaube ich. Sehen Sie, wie weit wir gekommen sind. Ich glaube, jetzt verstehen Sie mich – Sie können meine Launen erkennen –, und ich denke, ich verstehe Sie.« (Liebes Tagebuch, das tat er nicht.)
    »Monsieur«, antwortete ich und bemühte mich nach Kräften, meine Stimme ruhig zu halten, während ich mir die Tränen wegzwinkerte. »Ich habe alles erreicht, weswegen ich hierhergekommen bin. Es ist Zeit zu gehen.«
    »Nein! Sie haben große Fortschritte gemacht, aber es ist noch viel zu tun. Ich sage Ihnen, es ist zu früh. Sie dürfen noch nicht fort. Ich lasse es nicht zu!«
    Der Schmerz in seinen Augen und seiner Stimme traf mich bis ins Mark. Oh! Warum musste er es mir so viel schwerer machen, als es ohnehin schon war? Es war klar, dass er michauf seine Art immer noch mochte, dass unser Abschied ihn schmerzen würde, dass er in mir eine Freundin sah, die ihn im Stich ließ. Gewissen und Vernunft, diese Verräter, wandten sich gegen mich. Ich hätte in diesem Augenblick so wenig meine Absicht weiterverfolgen können, wie ich von einer hohen Klippe springen konnte. Aber wenn ich ihm nachgab, wusste ich, würde das ein ebenso großes Verhängnis nach sich ziehen.
    Ich blieb bis Ende Dezember. Jeder Tag war nur Elend. Als ich schließlich meinen unabwendbaren Entschluss verkündigte, rührte es mich, wie groß das Bedauern meiner Schülerinnen war. Monsieur Héger

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