Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
sein Gesicht im Schatten lag, konnte ich ahnen, dass er ein älterer Mann war. »
Une Protestante? En ce cas, pourquoi m’avez-vous approché?
« 10
Ich erwiderte, ich hätte schon eine ganze Weile allein gelitten, und ich bräuchte Trost. Er sagte mit sanfter Stimme, dass ich als Protestantin zwar nicht in den Genuss der wahren Segnungen der Beichte kommen könne, dass er mich aber gern anhören und mir, wenn möglich, einen Rat geben würde.
Ich begann zu sprechen. Zunächst kamen meine Worte nur zögerlich, dann nahmen sie an Geschwindigkeit und Leidenschaft zu, bis sie wie eine Flut aus mir herausströmten. Ich erzählte ihm alles – all der lang aufgestaute Schmerz, der mein Herz bedrängte, floss aus mir heraus. Ich beendete meine Geständnisse mit der Frage, die mir am allermeisten auf der Seele lag. »Mein Vater, wenn unsere Gedanken und Absichten edel und rein sind, werden wir dann von Gott für unsere sündigen Träume zur Verantwortung gezogen, die sich in unseren Schlaf drängen?«
Das Gesicht des Priesters, vielmehr das, was ich davon hinter dem Gitter sehen konnte, schien verdutzt. Endlich sagte er mitfühlend: »Mein Kind, wenn du unseren Glauben hättest, dann wüsste ich besser, wie ich dich anleiten kann. Aber ich denke, dass du in deinem Herzen bereits weißt, welchen Weg du einschlagen musst. Ich denke auch, dass die Gefühle unddie Bedrängnis, unter denen du leidest, Boten Gottes sind, die dich wieder in die eine wahre Kirche zurückholen sollen. Ich möchte dir helfen, aber ich brauche dazu mehr Zeit, als ich dir hier schenken kann. Du musst ins Pfarrhaus kommen, und dann können wir weiterreden.« Er gab mir seine Adresse und bat mich, ihn dort am nächsten Morgen um zehn Uhr zu besuchen.
Ich dankte dem Priester und stand auf. Ich ging leise fort und verspürte Dankbarkeit für seine Freundlichkeit, wusste jedoch, dass ich nicht die Absicht hatte, ihn noch einmal zu sehen. Er schien ein ehrenwerter Mann zu sein, aber in meinem geschwächten Zustand befürchtete ich, dass seine Überzeugungskraft, wäre ich zu ihm gegangen, so groß gewesen wäre, dass ich wahrscheinlich schon bald in einer Zelle in einem Karmeliterinnenkloster den Rosenkranz beten würde.
Ich kehrte ins Pensionat zurück und berichtete Emily in einem Brief (den ich, liebes Tagebuch, später Lucy Snowe in
Villette
schreiben ließ) getreulich von diesem Vorfall, wobei ich den Inhalt meiner Beichte nicht erwähnte. Dass ich meiner Schwester und dem Priester – einem so intelligenten, ehrenwerten geweihten Mann – von meinem Leid erzählt hatte, hatte mir gutgetan. Ich verspürte einen gewissen Trost und ein wenig Erleichterung.
»Ich denke, dass du in deinem Herzen bereits weißt, welchen Weg du einschlagen musst.« Das waren die Worte des Priesters gewesen, der einzige echte Rat, den er mir gegeben hatte. Als ich an jenem Abend im Bett lag, hüllte tiefe Dunkelheit mich ein, und meine Gedanken waren genauso schwarz und düster wie sie. Laut rief ich in die öde Leere: »Was soll ich nur tun?«
Die Antwort kam schnell aus meinem Herzen, und die Worte – »Du musst Belgien verlassen« – waren so schrecklich,dass ich mir die Ohren zuhielt. Ich hasste den Gedanken, nach Hause zurückzukehren, ins Nichts, denn dort erwartete mich keine Beschäftigung. Noch mehr hasste ich den Gedanken, Monsieur Héger ganz zu verlassen, in dem Wissen, dass ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Und doch quälte mich die Vorstellung hierzubleiben genauso sehr. Wie konnte ich weiter in diesem Haus leben, Tag für Tag nur von der Hoffnung aufrecht gehalten, dass ich einen kleinen Blick auf ihn erhaschen würde? Wie konnte ich hier weitermachen, da ich doch wusste, dass ich meine Zuneigung zu ihm niemals offen zeigen durfte?
»Wenn ich gehen muss, dann soll mich etwas hier wegreißen!«, rief ich laut. »Soll jemand anderes die Entscheidung für mich treffen!«
»Nein«, rief das Gewissen tyrannisch. »Niemand soll dir helfen, Charlotte. Du musst dich selbst hier losreißen. Du musst dir selbst das Herz aus der Brust schneiden!«
»Nein«, meldete sich die Leidenschaft zu Wort. »Denke an die langen einsamen Tage zu Hause, in denen du sehnsüchtig auf einen Brief, auf ein Wort warten wirst, in denen jegliche Verbindung zu ihm auf deine Erinnerungen und deine Gedanken beschränkt ist!«
Wochenlang hielten mich die Qualen der Unentschlossenheit umfangen. Ich hatte nicht den Willen zu bleiben. Zur Flucht fehlte mir die Kraft.
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