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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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war klein von Wuchs, hatte rotes Haar und eine kühne, schrecklich große Nase), und als er so neben mir stand und mich mit seinen Augen fixierte, gerann mir das Blut in den Adern. Papa schien der Meinung zu sein, dass eine geplanteVerbindung, die fünf Jahre hinausgezögert würde, noch dazu mit einem so anständigen und verlässlichen Mann wie Mr. Taylor, sehr angemessen und ratsam sei. Aber ich konnte ihn nicht heiraten, selbst wenn meine Weigerung mich zu einem einsamen Leben als alte Jungfer verdammen würde.
     
    In London besuchten Mr. Smith und ich – unter den Namen Mr. und Miss Fraser – zum Spaß einen Phrenologen 5 in The Strand, einen gewissen Dr. Browne, der uns eine schriftliche Analyse unseres Charakters und unserer Fähigkeiten lieferte. Mr. Smith bezeichnete er als »Bewunderer des schönen Geschlechts, liebevoll und freundlich, idealistisch und romantisch und nicht geneigt, Dinge lange aufzuschieben« – was der Wahrheit völlig entsprach. Mir wurde bescheinigt, ich hätte »ein feines Gespür für Sprache«, könne »meine Gefühle mit großer Klarheit, Präzision und Sprachgewalt zum Ausdruck bringen« und hätte »ein sehr stark ausgeprägtes Gefühl für das Schöne und Ideale«. Meine Bindungen an andere Menschen, behauptete Dr. Browne, seien »stark und dauerhaft« und »wenn sie keine Dichterin ist, so sind doch ihre Gefühle poetischer Natur und zumindest mit dem begeisterten Strahlen erfüllt, das ein Merkmal poetischer Gefühle ist«. Diese Deutung entzückte mich, denn in ihren schmeichelhaftesten Aussagen beschrieb sie die Frau, die ich zu sein anstrebte.
    Ich glaube, dass ich länger in London blieb, als ich sollte, aus dem einfachen Grund, weil ich nicht nach Hause in eineLeere zurückkehren wollte, die ich nur schwer zu ertragen fand. Ich verbrachte dann noch einige herrliche Tage bei Mrs. Gaskell und ihrer Familie in ihrem fröhlichen, hellen Haus in Manchester. Nach meiner Rückkehr nach Haworth kam Ellen zu Besuch, doch nach ihrer Abreise schien mir die Einsamkeit meines Lebens im Pfarrhaus überwältigend. Ich vermisste meine Schwestern so sehr, dass es mir körperlichen Schmerz bereitete, der zwar mit der Zeit ein wenig abnahm, aber doch immer noch meine Tage heimsuchte und mich bis tief in die Nachtstunden hinein wachhielt.
    Wenn ich über das Moor wanderte, erinnerte mich alles an sie und die Zeiten, die ich mit ihnen dort verbracht hatte. Es gab keinen Busch Heidekraut, keinen Farnwedel, kein frisches Heidelbeerblatt, keine flatternde Lerche, keinen Hänfling, der mich nicht an Emily erinnerte, die das alles so geliebt hatte. Die Aussicht auf die fernen Berge hatte Anne stets entzückt, und wenn ich mich umschaute, so war sie in den blauen Farben, im hellen Dunst, in den Wellen und Schatten am Horizont anwesend. Könnte ich nur, dachte ich mir, endlich vergessen und die Erinnerung, die in meinen Gedanken verharrte, daraus verbannen. Aber ich vermochte es nicht.
    Mich quälte zudem das Wissen, dass mein Verleger einen weiteren Roman von mir erwartete. Alle meine sporadischen Versuche in dieser Richtung hatten sich allerdings bisher als wenig befriedigend erwiesen. Doch ich konnte das Unvermeidliche nicht mehr viel länger hinauszögern.
    Da Smith & Elder deutlich gesagt hatten, dass sie den Roman
Der Professor
nicht haben wollten, schloss ich das so verschmähte Manuskript in einem Schrank weg und entschied mich, ein neues Buch anzufangen – ein Buch, in dem ich meine Erfahrungen im Pensionat in Brüssel in einem völlig anderen Licht darstellen wollte, nämlich vom weiblichen Standpunktaus. Ich nannte den Roman
Villette
. Meinen charmanten Dr. John Graham Bretton und seine Mutter Mrs. Bretton bildete ich schamlos Mr. George Smith und seiner Mutter nach. Meine Erinnerung an Madame und Monsieur Héger ließ ich in die Beschreibung von Madame Beck und von Paul Emmanuel, dem Professor, einfließen, der letztendlich das Herz meiner Heldin Lucy Snowe erobern würde.
    Ich kam nur quälend langsam mit dem Roman voran, wurde immer wieder durch schwere Krankheit und mein abgrundtiefes Gefühl der Einsamkeit unterbrochen. Manchmal verzweifelte ich, hungerte nach einer Meinung außer der meinen. Aber da war niemand, dem ich auch nur eine Zeile vorlesen oder den ich um Rat fragen konnte. Außerdem konnte sich Currer Bell nicht nur mit dem Schreiben beschäftigen, er war ja daneben eine »Hausfrau auf dem Lande«, die sich um verschiedene Kleinigkeiten zu kümmern hatte, die mit

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