Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Unternehmung veranlasste. Schon bald begann sie Vermutungen über eine sich anbahnenden Heirat zwischen uns anzustellen. Ich lachte nur über den Gedanken. Ich genoss zwar den regelmäßigen Briefwechsel mit meinem gut aussehenden, intelligenten und charmanten jungen Verleger, aber ich empfand wahrhaftig nichts als Freundschaft für Mr. Smith, genau wie er für mich. Mr. Smith würde nur eine Schönheit heiraten – das war mir instinktiv klar – und unser Altersunterschied und unsere unterschiedliche Stellung in der Gesellschaft machten eine solche Verbindung ohnehin unmöglich.
Von Edinburgh aus reiste ich nach Windermere im Lake District, um dort meine Freunde Sir James und Lady Kay-Shuttleworth (Literaturbegeisterte, die an mich herangetreten waren und mich unter ihre Fittiche genommen hatten) in einem Haus zu besuchen, das sie für den Sommer angemietet hatten. Dort lernte ich, was besonders denkwürdig war, Elizabeth Gaskell 4 kennen – eine Frau, die sechs Jahre älter ist als ich, eine wahrhaft begabte Schriftstellerin, deren Werkeich sehr bewundere. Sie hatte mir (über meinen Verleger) geschrieben und sich zur Veröffentlichung von
Shirley
mit so viel Lob und Zuneigung geäußert, dass ich mich verpflichtet gefühlt hatte, ihr zu antworten und zu danken. Ich lernte Mrs. Gaskell als eine höchst intelligente, weise, fröhliche und angenehme Person mit herzlichem Gebaren und einem freundlichen, guten Herzen kennen. Wir beide entdeckten, dass wir vieles gemeinsam hatten, kamen uns schnell näher und schlossen Freundschaft, die sich von Jahr zu Jahr vertiefte.
Zu meinen größten Tröstungen bei meiner Heimkehr gehörte das Lesen. Große Kisten mit den neuesten Büchern gingen pünktlich und mit schönster Regelmäßigkeit aus Cornhill bei uns ein, und ich verbrachte jeden Tag viele Stunden damit, sie zu verschlingen. Eine weitere Passion war meine Korrespondenz. Ich führte einen regen Briefwechsel mit Ellen, Mr. George Smith, Mr. Smith Williams und meiner Freundin und ehemaligen Lehrerin Miss Wooler (mit der ich seit meiner Zeit als Lehrerin an der Roe Head School in Verbindung geblieben war) – ein Gedankenaustausch, der der strahlende Höhepunkt jeder Woche war und mir willkommene Abwechslung in die Abgeschiedenheit von Haworth brachte. Die eher seltenen Briefe von Mary Taylor aus Neuseeland waren eine ebenso willkommene Zerstreuung; sie schien in ihrem neuen Leben in der fernen Kolonie Glück und Zufriedenheit gefunden zu haben, trotz gelegentlicher Einsamkeit und der harten Arbeit, die ihr bei der Führung ihres Ladens abverlangt wurde.
Manchmal, wenn die schmerzlichen Erinnerungen zu sehr überhandnahmen oder mir meine Einsamkeit kaum mehr erträglich schien, holte ich noch Monsieur Hégers Briefe aus dem Rosenholzkästchen und las sie erneut. Ich wusste nur zu gut, wie töricht das war: In meinem Herzen und meinen Gedankenwar kein Platz mehr für meinen ehemaligen Professor, ich hatte schon längst meinen Frieden mit ihm gemacht. Aber doch schenkten mir aus Gründen, die ich nicht benennen konnte, Monsieurs Gedanken und Worte Trost, wenn ich die brüchig gewordenen Seiten im flackernden Kerzenschein erneut las.
Durch den Briefwechsel zwischen mir und Mr. James Taylor, dem Bürovorsteher meines Verlegers, hatte sich eine herzliche Freundschaft zwischen uns entwickelt. Ich hatte den Herrn bei verschiedenen Gelegenheiten persönlich getroffen und spürte, dass Mr. Taylor sich in mich verliebt hatte. Als er mir nun schrieb, um mir mitzuteilen, dass er mich im April 1851 in Haworth zu besuchen beabsichtigte, hatte ich eine Vorahnung, was wohl der Grund dieses Besuchs sein könnte, und war durchaus dazu geneigt, wohlwollend an ihn zu denken. Wie ich vorhergesehen hatte, machte mir Mr. Taylor einen Antrag. Die Sache hatte jedoch einen Haken. Mr. Taylor plante, beinahe sofort nach Indien aufzubrechen, um dort fünf Jahre lang eine Zweigstelle von Smith, Elder & Co. zu leiten, und bat mich, ihn bei seiner Rückkehr zu heiraten.
Eine Abwesenheit von fünf Jahren – drei weite Weltmeere zwischen uns –, das erschien mir wie eine Trennung auf ewige Zeiten! Zudem gab es noch ein Hindernis, das wesentlich schwerer wog: Bei diesem Besuch vermochte ich, wie sehr ich mich auch bemühte, an Mr. Taylor nichts zu finden, das ihn als Gentleman ausgezeichnet hätte, nicht einmal den Anschein von guter Kinderstube und Herzensbildung. Außerdem besaß er eine ausgeprägte Ähnlichkeit mit meinem Bruder Branwell (er
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