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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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unserer Heirat geschrieben. Ich habe sie immer wie einen Schatz aufbewahrt. Du kannst sie lesen, wenn du möchtest.« Und mit diesen Worten verließ er den Raum.
    Die Briefe meiner Mutter! Ich hatte nichts davon geahnt, dass solche Briefe überhaupt existierten. Ich begriff sofort, was Papa dazu bewegt haben musste, sie mir nun nach all den Jahren zu zeigen. Als er in
Shirley
gelesen hatte, wie sehr sich Caroline nach ihrer Mutter sehnte, hatte er zweifellos erkannt,welch tiefen Verlust ich in so jungen Jahren erlitten hatte, als meine eigene Mutter starb. Ich bebte, als ich den ersten, brüchig gewordenen Umschlag zur Hand nahm. Das Herz hüpfte mir im Leibe, als ich die feine, mir nicht vertraute Handschrift auf den Briefbögen wahrnahm. Wie seltsam es war, nun zum ersten Mal die Aufzeichnungen einer Frau zu lesen, der ich meinen Geist verdankte. Wie traurig und bittersüß war es, festzustellen, dass ihre Gedanken wahrhaftig nobel, rein und erhaben gewesen waren! Aus diesen Seiten atmete unbeschreibliche Rechtschaffenheit, Vornehmheit, Treue, Bescheidenheit und Sanftheit, aber auch ein feiner Humor. Sie sprach meinen Vater mit »liebster kecker Pat« an. Oh, dachte ich, während mir die Tränen in die Augen stiegen, wie sehr wünschte ich mir, sie hätte lange genug gelebt und ich hätte sie wirklich kennenlernen dürfen!
    Als ich Papa die kostbaren Briefe zurückgab, dankte ich ihm für seine Großzügigkeit und Einfühlsamkeit, die ihn dazu veranlasst hatten, sie mit mir zu teilen.
    »Sie war eine liebe und wunderbare Frau, und du ähnelst ihr sehr, Charlotte«, sagte er und drückte mir zärtlich die Hand. »Du bist nun mein einziger Trost; ich weiß nicht, wie ich ohne dich weiterleben könnte.«
    »Das wirst du nie müssen, Papa.«
     
    In den nächsten drei Jahren war mein Leben eine seltsame Mischung aus Einsamkeit und Geselligkeit. Ich verwendete einen Teil meiner Einkünfte darauf, am Pfarrhaus einige Veränderungen vorzunehmen. Ich ließ das Esszimmer und das darüber liegende Schlafzimmer verbreitern, hängte hier und da Vorhänge auf und ließ die Möbel aufpolstern. Ruhelos und kaum in der Lage, mich auf das Thema eines neuen Buchs festzulegen, reiste ich wiederholt nach London, wo ich imHause von Mr. Smith fürstlich bewirtet wurde und einige herausragende Schriftsteller kennenlernte, unter anderem auch William Makepeace Thackeray. Ich besichtigte die vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt und erlebte den gefeierten Schauspieler Macready in
Othello
und
Macbeth
.
    Auf Drängen von Mr. Smith (»Sie sind jetzt eine berühmte Autorin, Miss Brontë«, sagte er, »da ist es
de rigueur,
für ein Porträt Modell zu sitzen«) ließ ich nach einigem Zögern von dem Künstler George Richmond, der gerade sehr in Mode ist, mein Porträt malen – eine zarte farbige Kreidezeichnung, die Mr. Smith zu uns nach Hause schickte, zusammen mit einem Geschenk für mich, einem gerahmten Porträt des Helden meiner Kindertage, des Herzogs von Wellington. Ich empfand mein Porträt, das eher meiner Schwester Anne als mir ähnelte, als höchst schmeichelhaft. Tabby behauptete, ich sähe darauf zu alt aus, aber da sie zugleich darauf beharrte, das Bild des Herzogs von Wellington sei »dem Herrn wie aus dem Gesicht geschnitten« (womit sie Papa meinte), konnte man ihrer Meinung nicht allzu viel Gewicht beimessen.
    Martha sagte: »Die Augen sind gut getroffen. Es ist, als würden Sie auf mich herabblicken, Madam, in mich hineinschauen, bis in die Seele.«
    Papa hängte das Porträt stolz über dem Kamin im Esszimmer an die Wand und erklärte, es sei gut getroffen. »Es erfasst dich vollkommen«, sagte er mit einem für ihn ungewöhnlichen Grinsen. »So ein wunderbarer und lebensechter Ausdruck! Es ist dem Künstler gelungen, sowohl Geist als auch Körper darzustellen. Ich denke, die Autorin und ihr Genie werden darin sichtbar.«
    »Und
ich
denke, in deiner Meinung wird eine starke Voreingenommenheit sichtbar«, antwortete ich mit einem Lachen.
    Als Mr. Nicholls das Porträt sah, stand er sehr lange stummdavor und starrte es mit blitzenden Augen und einem Lächeln an, das er sich vergebens zu verbergen bemühte. Als Papa ihn um seine Einschätzung des Bildes bat, sagte Mr. Nicholls nur, er fände es sehr gut.
     
    Im Sommer 1850 fuhr ich für einige Tage nach Edinburgh, um mich dort mit George Smith und seinen Geschwistern zu treffen, eine Reise, die Ellen zu unzähligen entsetzten Bemerkungen über die Schicklichkeit einer solchen

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