Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
ich – ich bin offen! – kennen zu lernen wünschte. Geben Sie es zu! War das nicht natürlich bei einer Frau, deren Herz durch so viel Ursachen und Unglück bedrückt war und das in dem Alter erwachte, in dem die Frau sich betrogen fühlt, während ich mich doch zugleich von so viel Frauen umgeben sah, die durch die Liebe glücklich waren? Ach, weshalb hatte Michel Chrestien so viel Ehrfurcht? Darin lag für mich nochmals ein Hohn. Was wollen Sie! Als ich fiel, verlor ich alles, ich hatte über nichts mehr Illusionen; ich hatte alles ausgepreßt, nur eine Frucht noch nicht, an der ich jetzt keinen Geschmack mehr finde und für die ich keine Zähne mehr habe. Kurz, ich hatte meine volle Enttäuschung in der Welt gefunden, als ich die Welt verlassen mußte. Darin liegt etwas vom Wirken der Vorsehung, genau wie im Ersterben der Empfindung, das uns auf den Tod vorbereitet.« (Sie machte eine Geste voll religiöser Salbung.) – »Alles mußte mir damals helfen,« fuhr sie fort; »der Zusammenbruch der Monarchie und ihre Ruinen begruben mich mit. Mein Sohn tröstete mich über vieles hinweg. Die Mutterliebe ersetzt uns all die andern geheuchelten Empfindungen! Und die Welt wundert sich über meine Zurückgezogenheit; ich aber habe in ihr mein Glück gefunden. Oh, wenn Sie wüßten, wie glücklich hier das arme Geschöpf ist, das vor Ihnen sitzt! Indem ich meinem Sohne alles opfere, vergesse ich das Glück, das ich nicht kenne und das ich niemals kennen lernen werde. Wer würde es glauben, daß das Leben für die Fürstin von Cadignan aus einer argen Hochzeitsnacht besteht, und all die Abenteuer, die man ihr zuschreibt, aus der Herausforderung eines kleinen Mädchens an zwei furchtbare Leidenschaften? Niemand. Heute fürchte ich mich vor allem. Ohne Zweifel würde ich in der Erinnerung an so viel Falschheit und Unglück auch eine wahre Empfindung, irgendeine echte und reine Liebe zurückweisen, genau wie die Reichen, die von ein paar Schelmen geprellt worden sind, indem man ihnen das Elend vorheuchelte, auch tugendhaftes Unglück unbeachtet lassen, weil sie vor der Wohltätigkeit einen Abscheu bekommen haben. All das ist grauenhaft, nicht wahr? Aber glauben Sie mir, was ich Ihnen erzähle, das ist die Geschichte sehr vieler Frauen.«
Die letzten Worte wurden in einem Ton des Scherzes und der Leichtfertigkeit gesprochen, der an die elegante und spöttische Frau erinnerte. D'Arthez war verblüfft. In seinen Augen waren die Leute, die die Gerichte ins Bagno schicken, weil sie getötet, weil sie unter erschwerenden Umständen gestohlen, weil sie sich auf einem Wechsel in ihrem Namen geirrt haben, im Vergleich mit den Leuten der Gesellschaft kleine Heilige. Diese wilde Elegie, die geschmiedet war im Arsenal der Lüge und gehärtet in dem Wasser des Pariser Styx, war im unnachahmlichen Tonfall der Wahrheit hergesagt worden. Der Schriftsteller blickte die verehrungswürdige Frau einen Augenblick an, wie sie in ihrem Sessel versunken dasaß und wie ihre beiden Arme gleich zwei Tautropfen am Rande einer Blume über die beiden Armlehnen herabhingen; sie war gleichsam überwältigt von ihrer Enthüllung, gleichsam vernichtet dadurch, daß sie in der Erzählung alle Schmerzen ihres Lebens noch einmal empfunden hatte; kurz, sie war ein Engel der Melancholie.
»Und sagen Sie sich selbst,« fuhr sie fort, indem sie sich jäh aufrichtete, eine ihrer Hände hob und Blitze aus den Augen schleuderte, in denen zwanzig angeblich keusche Jahre flammten, »sagen Sie sich jetzt selbst, welchen Eindruck die Liebe Ihres Freundes auf mich machen mußte; und ist es nicht ein grauenhafter Hohn des Schicksals ... oder vielleicht Gottes ... denn damals, das gebe ich zu, hätte mich ein Mann ... aber ein Mann, der meiner würdig gewesen wäre, schwach gefunden, so sehr dürstete ich nach dem Glück! Nun, er starb und mußte sterben, indem er wem?... Herrn von Cadignan das Leben rettete! Da erstaunen Sie jetzt, daß Sie mich in Gedanken versunken finden!«
Das war der letzte Hieb, und der arme d'Arthez widerstand nicht länger; er warf sich auf die Knie, drückte den Kopf in die Hände der Fürstin hinein und weinte, vergoß jene süßen Tränen, die die Engel vergießen würden, wenn die Engel weinen könnten. Als Daniel so den Kopf senkte, konnte Frau von Cadignan ein boshaftes Lächeln des Triumphes über ihre Lippen irren lassen, ein Lächeln, das die Affen bei einem überlegenen Streich zeigen würden, wenn die Affen lachen könnten. ›Jetzt
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