Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
habe ich ihn!‹ dachte sie. Und sie hatte ihn wirklich.
»Sie sind...« sagte er, indem er seinen schönen Kopf hob und sie liebevoll ansah. »... Jungfrau und Märtyrerin,« beendete sie den Satz, indem sie über die Vulgarität dieses alten Scherzes lächelte und ihm doch durch dieses Lächeln voll grausamer Lustigkeit einen neuen, reizenden Sinn gab. »Wenn Sie mich lachen sehen, so liegt es daran, daß ich an die Fürstin denke, wie die Welt sie kennt, an jene Herzogin von Maufrigneuse, der man sowohl de Marsay wie den ehrlosen de Trailles – einen politischen Strauchdieb –, den kleinen Dummkopf d'Esgrignon und Rastignac, Rubempré und russische Gesandte und Minister und Generale zu eigen gibt und – was weiß ich – ganz Europa! Man hat über dieses Album geredet, das ich habe machen lassen, weil ich glaubte, die, die mich bewunderten, wären meine Freunde. Ach, es ist furchtbar. Ich verstehe nicht, daß ich einen Mann zu meinen Füßen dulde. Sie alle verachten, das sollte meine Religion sein.«
Sie stand auf und trat mit einem Schritt voll prunkvoller Beweggründe in die Nische des Fensters. D'Arthez setzte sich wieder in seinen Sessel, denn er wagte der Fürstin nicht zu folgen, aber er blickte ihr nach; er hörte, wie sie tat, als schneuze sie sich, ohne sich zu schneuzen. Wo wäre die Fürstin, die sich schneuzte? Diana versuchte das Unmögliche, um den Glauben an ihre Empfindung zu wecken. D'Arthez glaubte, sein Engel schwimme in Tränen; er eilte herbei, umfaßte sie und drückte sie an das Herz. »Nein, lassen Sie mich,« murmelte sie mit schwacher Stimme; »ich habe zuviel Zweifel, um noch zu irgend etwas gut zu sein. Mich mit dem Leben zu versöhnen, das ist eine Aufgabe, die die Kräfte eines Mannes übersteigt.« »Diana, ich, ich werde Sie für Ihr ganzes Leben lieben!« »Nein, reden Sie nicht so zu mir,« erwiderte sie. »Ich schäme mich und zittere, als hätte ich die größten Sünden begangen.«
Sie war wieder ganz zur Unschuld der kleinen Mädchen zurückgekehrt und zeigte sich nichtsdestoweniger erhaben, groß, edel wie eine Königin. Es ist unmöglich, die Wirkung dieses Kunstgriffes, der so geschickt gespielt wurde, daß er zur reinen Wahrheit wurde, – die Wirkung dieses Kunstgriffes auf eine unerfahrene und offene Seele wie die Daniels zu schildern. Der große Schriftsteller stand vor Bewunderung stumm und reglos in der Fensternische da; er erwartete ein Wort, während die Fürstin einen Kuß erwartete; aber sie war ihm zu heilig. Als die Fürstin zu frieren begann, nahm sie ihre Pose auf dem Sessel wieder ein; ihre Füße waren eiskalt. ›Es wird lange dauern!‹ dachte sie, indem sie Daniel mit erhobener Stirn und einem Gesicht voll Tugend ansah. ›Ist das eine Frau?‹ fragte sich der tiefe Beobachter des Menschenherzens. ›Wie soll ich mich ihr gegenüber verhalten?‹
Bis zwei Uhr morgens vertrieben sie sich die Zeit damit, daß sie sich jene Dummheiten sagten, wie geniale Frauen – und die Fürstin ist eine geniale Frau – sie so anbetungswürdig zu machen wissen. Diana behauptete, sie sei zu verbraucht, zu alt, zu verlebt; d'Arthez bewies ihr – wovon sie überzeugt war –, daß sie die zarteste Haut hätte; sie sei köstlich anzufassen, sie sei schneeweiß und duftend; sie selber aber sei ganz und gar noch jung und stehe in ihrer Blüte. Sie stritten über jede einzelne Schönheit, über jede Kleinigkeit, und zwar in Wendungen wie: ›Glauben Sie?‹ ›Sie sind wahnsinnig!‹ ›Das ist nur die Begierde!‹ ›In vierzehn Tagen werden Sie mich sehen, wie ich bin.‹ ›Kurz, ich bin bald vierzig; kann man eine so alte Frau noch lieben?‹ D'Arthez ließ eine stürmische Schülerberedsamkeit spielen, die gespickt war mit den übertriebensten Beiworten. Als die Fürstin hörte, wie dieser geistvolle Mann die Dummheiten eines verliebten Unterleutnants hersagte, hörte sie ihm mit zerstreuter Miene und ganz gerührt zu, aber innerlich lachte sie.
Als d'Arthez auf der Straße stand, fragte er sich, ob er nicht minder achtungsvoll hätte sein sollen. Er ging in seinem Gedächtnis noch einmal alle jene vertraulichen Mitteilungen durch, die hier natürlich stark abgekürzt worden sind – es hätte eines ganzen Bandes bedurft, um sie in ihrer Honigfülle und mit allen Begleitumständen wiederzugeben. Der rückblickende Scharfsinn des so natürlichen und tiefen Menschen wurde durch die Natürlichkeit dieses Romans, durch seine Tiefe und durch den Tonfall der Fürstin
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