Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
naive Kind, das sich freilich zugleich als der geschickteste Beobachter zeigt. Dieser scheinbar unmögliche Widerspruch ist allen leicht verständlich, die den Abgrund erkannt haben, der die geistigen Fähigkeiten von den Empfindungen trennt: jene entspringen dem Kopf, diese dem Herzen. Man kann ein großer Mann und ein Halunke sein, genau wie man ein Dummkopf sein kann und zugleich ein vorzüglicher Liebhaber. D'Arthez gehört zu jenen bevorrechtigten Wesen, bei denen die Feinheit des Geistes, der Umfang der Begabung des Gehirns weder Kraft noch Größe der Empfindung ausschließen. Er ist vermöge einer seltenen Begnadung zugleich ein Mann der Tat und des Gedankens. Sein Privatleben ist edel und rein. Wenn er bisher die Liebe sorgfältig geflohen hatte, so kannte er sich darum doch ganz genau; er wußte im voraus, wie sehr ihn die Leidenschaft beherrschen würde. Lange Zelt hindurch waren die angreifenden Arbeiten, durch die er den festen Grund zu seinen glorreichen Werken legte, und die Kälte des Elends ein ausgezeichnetes Schutzmittel. Als der Wohlstand kam, knüpfte er die vulgärste und unbegreiflichste Verbindung mit einer zwar recht schönen Frau an, die aber zur unteren Klasse gehörte, die ohne jede Bildung und ohne jede Lebensart war und allen Blicken sorgfältig verborgen wurde. Michel Chrestien sprach den genialen Männern die Macht zu, die kompaktesten Geschöpfe in ätherische Wesen, die borniertesten Weiber in geistvolle Frauen, Bäuerinnen in Marquisen zu verwandeln; je höher eine Frau stände, sagte er, um so mehr verlöre sie in ihren Augen, denn seiner Ansicht nach hatte da ihre Phantasie nichts mehr zu tun. Die Liebe war – gleichfalls seiner Ansicht nach – für geringwertige Wesen zwar nur ein einfaches Bedürfnis der Sinne, aber für hochstehende Menschen das bedeutendste und fesselndste Schöpfungswerk. Er berief sich, um d'Arthez zu rechtfertigen, auf das Beispiel Raffaels und der Fornarina. Er hätte auch sich selbst als Vorbild hinstellen können, da er in der Herzogin von Maufrigneuse einen Engel sah. Die wunderliche Laune des Schriftstellers ließ sich übrigens auf vielerlei Arten rechtfertigen; vielleicht hatte er gleich von Anfang an daran gezweifelt, hier auf Erden eine Frau zu finden, die dem köstlichen Traumbild entsprach, wie jeder geistvolle Mann es sich entwirft und im Herzen hegt; vielleicht hatte er ein zu empfindliches, zu zartes Herz, um es einer Frau der Gesellschaft auszuliefern; vielleicht zog er es vor, der Natur ihren Tribut zu zollen und seine Illusion zu behalten, indem er sein Ideal kultivierte; vielleicht hatte er auch die Liebe ganz ausgeschaltet, well sie mit seiner Arbeit, mit der Regelmäßigkeit eines mönchischen Lebens, in dem die Leidenschaft alles gestört hätte, unvereinbar war. Seit einigen Monaten bildete d'Arthez das Gespött Blondets und Rastignacs, die ihm vorwarfen, er kenne weder die Welt noch die Frauen. Wenn man ihnen glauben wollte, so waren seine Werke zahlreich und vorgeschritten genug, damit er sich auch Zerstreuungen gönnte; er hatte ein schönes Vermögen und lebte wie ein Student; er kostete nichts aus, weder sein Geld noch seinen Ruhm; er wußte nichts von den erlesenen Genüssen der edlen und zarten Leidenschaft, die gewisse wohlgeborene und wohlerzogene Frauen einflößen oder empfinden konnten. War es seiner nicht unwürdig, daß er nur erst die rohesten Seiten der Liebe kennen gelernt hatte? Sobald die Liebe sich auf das beschränkte, wozu die Natur sie machte, war sie in ihren Augen die dümmste Erfindung der Welt. Es war einer der Ruhmestitel der Gesellschaft, da die ›Frau‹ geschaffen zu haben, wo die Natur nur das Weibchen schuf; da die Dauer des Verlangens begründet zu haben, wo die Natur nur an die Erhaltung der Gattung dachte: kurz, die Liebe erfunden zu haben, die schönste Religion der Menschen. D'Arthez wußte nichts von den reizenden Feinheiten der Rede, nichts von den unaufhörlichen Beweisen herzlicher Neigung, die Geist und Seele geben, nichts von jenen Begierden, die durch verfeinerte Lebensart geadelt werden, nichts von jenen durchgeistigten Formen, die die Frau der Gesellschaft den gröbsten Dingen leiht. Er kannte vielleicht die Frau, aber die Gottheit kannte er nicht. Es bedurfte nach ihnen fabelhaft vieler Kunst, fabelhaft viel schöner Toiletten des Geistes und des Leibes, damit eine Frau wirklich lieben könnte. Kurz, diese beiden Verführer rühmten all die köstlichen Verderbtheiten des Geistes, die
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