Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
ein Schaudern.
Was geht in ihm vor?, fragte ich mich. Von Schlichten schwieg. Er atmete nur tief durch, und es wirkte auf mich beinahe so, als wäre das, was ich gesagt hatte, für ihn eine Bestätigung.
Aber für was?
Ein Gefühl des Unbehagens machte sich in mir breit. Ich suchte verzweifelt nach irgendwelche konkreten Anhaltspunkten, die mir einen Anlass dazu hätten bieten können. Aber so sehr ich mir auch das Gehirn zermarterte - ich fand nichts.
Professor von Schlichtens Blick ruhte quälend lange auf mir.
"Sind Sie sich sicher, Miss Vanhelsing?", fragte er dann.
Seine tiefe Stimme war fast tonlos.
"Ja", nickte ich.
In diesem Augenblick hatte ich das vage Gefühl, dass von Schlichten vielleicht viel mehr wusste, als er mir je offenbart hatte. Auch über mich...
Nein, dachte ich. Er kann es nicht wissen. Er kann nicht einmal ahnen, dass ich eine übersinnliche Begabung besitze!
Ich hatte immer peinlich genau darauf geachtet, dass der Kreis, derer, die davon wussten, eng begrenzt blieb. Das Schicksal meiner - ebenfalls übersinnlich begabten - Mutter hatte mir gezeigt, wie vorsichtig ich sein musste.
Du leidest unter Verfolgungswahn, Patti, ging es mir durch den Kopf. Komm wieder zu dir!
Ich blickte in die Ferne, sah die grauen Nebelbänke, die sich wie Watte auf die Seeoberfläche gelegt hatten. Der Wind ließ nach.
"Wo sind die Indios?", fragte ich.
"Keine Ahnung", sagte Tom. "Sie sind nicht wieder aufgetaucht..."
Ich wandte mich an Professor von Schlichten. "Für sie begehen wir einen Frevel, oder?"
"Ja, etwas in der Art", nickte der Archäologe. "Die Legenden sagen, dass die GÖTTER DER TIEFE dort unten warten, in ihrer Stadt unter dem Wasser."
"Sie warten?", echote ich.
Von Schlichten sah mich mit unbewegtem Gesicht an. "Ja."
"Worauf?"
"Darauf, die Herrschaft über die Welt zu übernehmen. Der Legende nach kommen sie aus dem REICH JENSEITS DER KÄLTE. Und nur sehr starke Rituale können die GÖTTR DER TIEFE daran hindern, emporzusteigen und unsere Welt in Besitz zu nehmen."
"Starke Rituale". wiederholte ich. "Rituale, in deren Verlauf Menschenopfer dargebracht werden?"
"Das sind die stärksten, Miss Vanhelsing. Als Okkultismus-Expertin sollten Sie das wissen." Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann fuhr er fort: "Ich habe niemals behauptet, dass dies eine ungefährliche Reise ist, Miss Vanhelsing."
"Das habe ich auch nie angenommen!"
"Das freut mich zu hören!"
"Wann tauchen wir zu den Ruinen?"
"Sie wollen - nach Ihrem furchtbaren Erlebnis heute Morgen - noch immer mit hinunter zu den Ruinen tauchen?" Sein Lächeln wurde breiter. "Vielleicht habe ich Sie wirklich unterschätzt, Miss Vanhelsing!"
*
Die Messe der LAGO GRANDE war nicht besonders groß. Wir saßen
ziemlich eng um den nierenförmigen Tisch herum, auf dem Dietrich von Schlichten eine topographische Karte ausgebreitet hatte.
Er deutete mit einem Kugelschreiber darauf herum.
"Sehen Sie, dieses fast quaderförmige Plateau... Gleich daneben geht es fast gerade hinunter in Regionen, die so tief sind, dass man eine Spezialausrüstung bräuchte, um den Grund zu erreichen. Das Plateau ist von Wasserpflanzen überwuchert. Außerdem hat sich eine Menge Kalk abgelagert. Wenn Sie gleich hinabtauchen, werden Sie denken, einen natürlichen Seeboden vor sich zu haben." In von Schlichtens Augen blitzte es.
"Aber das ist es nicht..."
"Sondern?", fragte Tom.
"Es handelt sich um die Oberseite eines gewaltigen quaderförmigen Gebäudes, von schier unvorstellbaren Ausmaßen. Ich vermute sogar, dass es nicht nur bis zum Seegrund reicht, sondern noch weiter, ins Erdinnere..."
Tom hob die Augenbrauen. "Und wie kommen Sie zu dieser Vermutung?"
"Durch genaue Analyse der Indio-Mythen. Ich habe hunderte von mündlich überlieferten Legenden über die GÖTTER DER
TIEFE miteinander verglichen. Und es gibt da immer wiederkehrende Passagen, die sich so interpretieren lassen... Genau werden wir das natürlich erst wissen, wenn alles untersucht ist..." Der Kugelschreiber zwischen seinen dürren Fingern kreiste erneut in unruhigen Bewegungen über die Karte. "Ich nehme an, dass sich der Ruinenkomplex - oder die Stadt, ganz wie man will - noch ein ganzes Stück in nordwestliche Richtung hin erstreckt. Wie weit genau, kann ich noch nicht sagen. Die Erbauer scheinen sich darauf verstanden zu haben, ihre Gebäude nahezu perfekt zu tarnen..."
*
Der Tod von Lombardi bedeutete, dass wir uns selbst um die
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