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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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zur Verfügung. Die Bedeutung dieser Modelle und Überzeugungen besteht nicht so sehr darin, dass wir uns mit ihnen der Wahrheit der Welt annähern, sondern dass sie uns erlauben, unseren Weg durch diese Welt zu gehen. Je mehr Modelle wir haben, desto mehr (wirksame) Lösungen haben wir, um die Probleme anzugehen, denen wir auf unserem Lebensweg begegnen. In der Welt des Verhaltens sind einige Modelle effizienter als andere: Verhaltenstherapien, systemische Interventionen, kognitives Reframing, Psychopharmaka, klassische Gegenkonditionierung etc.
    In der Welt der Beziehung zwischen Mensch und Haustier ist das Modell des Spiegels sehr hilfreich, um an uns selbst zu arbeiten. Ein Schlüssel, der beim Dekodieren hilft, ist die Frage: »Was sagt mir das über mich selbst?« Von da aus übernehme ich die Verantwortung für meine Wahrnehmungen, meine Reaktionen, meine Gefühle und – in einer spirituellen Philosophie – auch dafür, dass ich mir (wenn auch unbewusst) vorgenommen habe, diese einzigartige Erfahrung zu machen. Wenn ich das tue, bin ich nicht mehr Opfer, sondern Mitschöpfer der Erfahrungen meines Lebens.

20 – Aurore Sabouraud-Séguin
    Muss man das Gleiche erlebt haben, um Empathie für andere zu haben?
    Die Kindheit ist die Zeit fundamentaler Erfahrungenund fundamentalen Lernens. Sie legt unzweifelhaft fest, was aus uns wird und welche Entscheidungen wir als Erwachsene treffen.
    Kinder sind egozentrisch und haben nicht unbedingt Einfühlungsvermögen für ihresgleichen. Empathie ist eine den anderen zugewandte Emotion, die dazu dient, soziale Beziehungen herzustellen. Seltsamerweise lernen wir Empathie, indem wir das Leid kennenlernen.
    Wie entsteht Empathie?
    Meine Großmutter verlor einen ihrer Söhne bei den Bombenangriffen auf Paris. Ich sah das Foto dieses jungen Mannes auf der Kommode im Wohnzimmer stehen, mit einem kleinen Blumenstrauß davor, der immer erneuert wurde. Ich dachte, meine Großmutter hätte ja nun mich als »Kind«, und das würde zu ihrem Glück genügen! Ich verstand ihr Leid erst, als ich selber Kinder hatte. Erst da konnte ich mir vorstellen, was sie empfunden haben musste. Ich empfand endlich Mitgefühl und nicht nur eine egozentrische Liebe für sie. Als ich selber Mutter war, konnte ich diese Erfahrung mit ihr teilen und war dadurch imstande, mich in sie hineinzuversetzen, um nachzufühlen und mir vorzustellen, was sie empfunden hatte.
    Welchem Zweck das Leid dienen kann
    Leid ist zweifellos ein Mittel, um Einfühlungsvermögen zu erlernen. Wenn wir diese Emotion erlebt und beobachtet haben, was sie in uns selbst auslöst und welche Folgen sie für andere hat, können wir das Leid, das ein anderer durchmacht, verstehen, unabhängig – oder beinahe unabhängig – davon, welche Ursachen es hat.
    Ich habe als Kind sehr gelitten, zumindest glaubte ich es. Ich litt sehr und hatte ein furchtbares Verlustgefühl, wenn eine Person, die mir ans Herz gewachsen war, aus meinem Leben verschwand, nicht weil sie starb, sondern weil sie umzog. Aus der Rückschau sind diese Verluste und dieses Verlassenwerden natürlich ganz gewöhnliche und normale Lebensereignisse und nichts Traumatisches. Aber als Kind ging ich in jeder Situation durch sehr starke Emotionen: Trauer, das Gefühl des Verlassenseins, Wut. Die erste Erinnerung an Traurigkeit und Leid, die ich habe, war, als mein kleiner Bruder meine Puppe auf den Boden warf und dabei ihr kleiner Finger abbrach. Sie war nicht mehr so schön wie vorher, ich war unglücklich, und mein Bruder lachte.
    Einige Jahre später zogen wir um, aus einer kleinen Wohnung in Paris in ein Haus am Stadtrand. Ich musste mich von meiner besten Freundin trennen. Ihr schien der »Horror« dieser Trennung nichts auszumachen. Ich hatte damals mehrere Monate lang Albträume. Es war ein echtes Leid, das sie nicht mit mir teilte. Sie antwortete auch nie auf meine Briefe. Es war vorbei; sie hatte mich vergessen. Sie hieß Sylvie Carpentier, und ich erinnere mich noch gut daran, wie sie mir ihre Kinderbücher lieh.
    Einige Jahre später ließ mich meine Großmutter im Stich. Sie zog in den Südwesten Frankreichs. Ich weinte mir die Augen aus dem Kopf und flehte sie an, nicht wegzugehen, aber meine Großeltern zogen trotzdem weg. Ich war erstaunt und enttäuscht, als ich begriff, dass meine Großmutter, die mich sehr liebte, nichts dabei

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