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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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gehen.
    Ich muss ohne Fehl und Makel sein!
    Wir waren ein knappes Dutzend Psychologen in seinem Büro in Manhattan, einem riesigen Raum, der mit seinen Tausenden von Büchern und den vielen Sofas und Sesseln einer Bibliothek glich. Ellis war damals siebzig, er saß in seinem Schaukelstuhl und wartete darauf, dass jeder der Therapeuten (alle praktizierten schon seit langer Zeit) vor der Gruppe ein persönliches Problem auspackte. Diese Übung fand ich höchst angsterregend. Ich hatte die Absicht, eine gute Ausrede zu erfinden, um mich aus dem Staub zu machen, ich wollte den Jetlag vorschieben, mein Englisch, das mich im Stich zu lassen drohte. » What’s your problem, ›Dideur‹, besides being French? «, fragte mich Ellis. (»Welches Problem hast du, Didier, außer dass du Franzose bist?«) Alle lachten. Das ist ein landläufiger Witz, den Amerikaner über Franzosen machen. Franzose zu sein gilt an sich schon als krankhafter Zustand. Ich wusste damals noch nicht, dass man nicht zwei Emotionen zur gleichen Zeit haben kann. Sehr rasch überkam mich eine gewisse Verärgerung, als ich den Witz hörte. Das verjagte wahrscheinlich einen Großteil der Angst und gab mir den Mut, über mein Problem zu sprechen. Kurzum, ich erwähnte zum ersten Mal meine Klaustrophobie und meine Erlebnisse im Fahrstuhl meines Vermieters. Alle hörten mir zu; man machte sich nicht mehr über den Franzosen lustig. Aber meine Stimme zitterte ein wenig, und ich kam mir dennoch lächerlich vor.
    Ellis: »Es scheint dir nicht gut zu gehen, wenn du das erzählst. Was sagst du innerlich zu dir?«
    Â»Ich glaube, dass es keine gute Idee ist, andere therapieren zu wollen, wenn ich nicht in der Lage bin, diese Klaustrophobiegeschichte in den Griff zu bekommen.«
    Â»Weil es für dich nicht normal ist, psychische Probleme zu haben, wenn man Psychologe ist?«
    Â»Eigentlich sollte man, wenn man andere behandeln will, seine eigenen Probleme gelöst haben!«
    Â»Deiner Meinung nach ›muss‹ ein Psychologe ohne Probleme sein! Liebe Kollegen, unser französischer Freund hat uns soeben mitgeteilt, dass die Therapeuten in seinem Land ›unfehlbar‹ sein müssen. Ist es rational, so zu denken?«
    Â»Unfehlbar, unfehlbar ….«, diese Bemerkung von Ellis ging mir den ganzen Abend nicht aus dem Kopf, und ich verstand besser, was er mit »rationalem« Denken meinte: Ich indoktrinierte mich seit Jahren mit dieser Kognition (einem Gedanken, der automatisiert und unbewusst geworden ist): »Ich muss ohne Fehl und Makel sein, weil ich psychologischer Psychotherapeut bin.« Und ich begriff, dass die Absolutheit dieses Gedankens mich bis dahin daran gehindert hatte, von der Klaustrophobie zu sprechen. Ich verlangte von mir, das Problem ganz allein zu lösen, und vor allem behielt ich mein Leiden für mich. Ich verschwieg es, und natürlich sprach ich mich insgeheim dafür schuldig. So verstärkte ich nach und nach unwissentlich die Probleme. Das also verstand Ellis unter der Tyrannei des Blicks der anderen und des eigenen Blicks auf sich selbst. Das Allererste, wenn man eine Psychotherapie in Angriff nimmt, ist, sich selbst und seine eigenen Schwächen zu akzeptieren. Das Nächste ist, das ständige Bestreben, »von anderen geschätzt und anerkannt zu werden«, infrage zu stellen mitsamt der Begleiterscheinungen: »Ich darf von mir nichts zeigen, was ich für lächerlich halte und was dazu führen könnte, dass die Achtung, die man mir entgegenbringt, sinkt!« Ich hatte mich bereits weit von der psychoanalytischen Hypothese der Beziehung zu meiner Mutter entfernt.
    Eine kurze Therapie?
    Ich begriff die Wirkung automatischer »selbstsabotierender« Gedanken auf meine Emotionen, und ich erwähnte fortan meine Klaustrophobie als Therapeut unaufhörlich gegenüber all meinen Kollegen in der Ausbildung. Michler Bishop, mein Supervisor, ermunterte mich, mich mit Situationen zu konfrontieren, die ich bis dahin vermieden hatte, da ich mithilfe der »REVT« (der rational-emotiven Verhaltenstherapie) von Albert Ellis inzwischen einiges begriffen hatte. »Vergiss nicht, ›D.J.‹ (er sprach meinen Vornamen wie die Abkürzung von ›Disc-Jockey‹ aus), dass du von der Panik geheilt wirst, indem du dich allmählich den Situationen aussetzt, in denen du sie erlebt hast«, sagte er mir. Also beschloss ich,

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